Gefährliche Freiheit
Nacht in der Dunkelheit verschwunden war, hatte er zu Luke gesagt: »Du bist ein guter Junge, auch wenn du noch nicht bereit bist, mit mir zusammenzuarbeiten. Jetzt stehst du in meiner Schuld.«
Oscar hatte Luke schon immer verwirrt.
Und Angst eingejagt.
Luke starrte auf den Bildschirm und versuchte zu begreifen. Sollte Oscar wirklich die ganze Zeit über involviert gewesen sein? Hatte er mitgeholfen, das Gebäude zu zerstören, in dem alle Ausweise aufbewahrt wurden? Hatte er wirklich die Rebellionen im übrigen Land koordiniert? Habe ich die letzten Monate mit – oder für – Oscar gearbeitet, ohne es zu wissen? Als Luke und seine Freunde sich entschlossen hatten, die Bevölkerungspolizei heimlich von innen heraus zu sabotieren, hatte Mr Talbot ihnen eingeschärft, auf absolute Geheimhaltung zu achten. »Je weniger ihr über die Leute wisst, mit denen ihr zusammenarbeitet, desto besser«, hatte er gesagt. »Wenn man euch je erwischen sollte, was Gott verhüten möge, wollt ihr eure Freunde sicher nicht verraten. Trotzdem könnte euch etwas herausrutschen … unter der Folter. Je weniger ihr wisst, desto weniger könnt ihr verraten.« Daher hatte Luke nie erfahren, welche Namen Nina und Trey im Hauptquartier der Bevölkerungspolizei benutzten; er hatte nie erfahren, wann oder ob sein Bruder Mark aufgetaucht war, um zu helfen; er hatte nie erfahren, welche Rolle die anderen in den Plänen spielten, die sie ausführten. Er war nur ein Rädchen im Getriebe, ohne den Motor je als Ganzes zu sehen oder die Richtung, in die er steuerte.
Konnte Oscar wirklich derjenige sein, der am Lenkrad gesessen hatte?
»Ich muss schon sagen«, sagte Philip Twinings im Fernsehen gerade, »es ist wirklich mutig von Ihnen, zu diesem Zeitpunkt vor die Kamera zu treten, obwohl es immer noch heißt, die Bevölkerungspolizei sei noch nicht vollständig, ähm, zerschlagen worden. Zur Information unserer Fernsehzuschauer möchte ich hinzufügen, dass Oscar Wydell hier vor dem ehemaligen Hauptquartier der Bevölkerungspolizei steht, ohne irgendwelches Sicherheitspersonal dabei zu haben.«
»Sie stehen doch auch ohne Sicherheitspersonal hier, Philip. Also muss man Ihnen ebenfalls zu Ihrem Mut gratulieren«, erwiderte Oscar und lachte selbstzufrieden. »Ich habe früher als Leibwächter gearbeitet und gelernt, für Gefahren einen sechsten Sinn zu entwickeln. Und im Moment fühle ich mich nicht in Gefahr. Das hier sind meine Freunde – meine Kollegen.«
»Verstehe«, sagte Philip Twinings. »Ja, es ist wirklich eine sehr ausgelassene Menge hier, und wir alle sind froh zu erfahren, welche Rolle Sie bei der Ausschaltung der Bevölkerungspolizei gespielt haben. Ist der Umsturz für Sie jetzt abgeschlossen oder befürchten Sie, die Anführer der Bevölkerungspolizei könnten ihre Truppen neu zusammenstellen, um abermals an die Macht zu gelangen?«
»Philip«, sagte Oscar und wandte sich mit ernster Miene zur Kamera, »ich verstehe, warum die Menschen Angst haben. Seit der ersten Dürre und Hungersnot vor fast zwanzig Jahren hat unser Land eine sehr dunkle Zeit durchgemacht. Und im letzten halben Jahr hat die Unterdrückung durch die Bevölkerungspolizei einen nie da gewesenen Höhepunkt erreicht. Aber einer der Gründe, warum ich mich heute Morgen bereit erklärt habe, vor die Kamera zu treten, ist, um allen im Land zu versichern, dass meine Leute und ich die Lage unter Kontrolle haben. Wir halten Aldous Krakenaur und den Rest seiner … seiner Handlanger an einem sicheren Ort gefangen. Wir werden sie zu gegebener Zeit vor Gericht stellen und jedem, der möchte, wird es gestattet sein, gegen sie auszusagen.«
»Und wo befindet sich dieser sichere Ort?«, hakte Philip Twinings neugierig nach.
Oscar schüttelte bedauernd den Kopf.
»Angesichts des großen – und durchaus gerechtfertigten – Zorns, den viele Menschen gegen die Bevölkerungspolizei hegen, halte ich es nicht für klug, diesen Ort bekannt zu geben«, erwiderte er. »Wir werden die Bevölkerungspolizei mit legalen Mitteln bestrafen, nicht durch Selbstjustiz. Wir haben vor, Gerichtsverfahren einzuleiten.«
»Aber unser Land hat zurzeit keine Gesetze«, sagte Twinings. »Es hat keine Regierung. Welche Maßstäbe wollen Sie den Urteilen zugrunde legen?«
»Die Maßstäbe schlichter Menschlichkeit«, sagte Oscar. »Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen, es wartet noch viel Arbeit auf mich heute Morgen.«
»Aber natürlich«, sagte Twinings und trat einen Schritt
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