Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben
das Experiment«, rief Beatrix in den Raum. Die anderen lachten. Aber schlagartig war meine ganze Aufmerksamkeit auf den Unterricht gerichtet. Natürlich! Die Leiche war nicht da, weil es sie gar nicht mehr gab! Sie war aufgelöst worden! In Säure! Da hatte ich vor einiger Zeit mal was in der Zeitung gelesen über irgendeinen Typen der mexikanischen Drogenmafia mit dem Spitznamen Suppenkoch. Er soll massenweise Leichen in Salzsäure aufgelöst haben. Eklig, aber wirkungsvoll.
»Was ist eigentlich in dem Raum da?«, fragte ich Nora leise, die sich neben mich gesetzt hatte, und zeigte auf eine weiße Tür rechts neben der Tafel, die mir bisher noch gar nicht aufgefallen war. Über der Klinke befand sich ein Pincode-Sicherungskästchen.
»Das ist ein Vorbereitungs- und Lagerraum«, antwortete sie. »Da werden Chemikalien und so aufbewahrt.«
»Interessant«, murmelte ich. »Wer kann denn alles da rein?«
»Keine Ahnung«, sagte Nora. »Meinst du, da könnte…«, hier fing sie an zu flüstern, »…die Leiche drin sein?«
»Vielleicht ist sie zumindest drin gewesen. Das werde ich mir auf jeden Fall genauer anschauen. Willst du mitkommen?«
Ich wollte nämlich nicht nur den Raum unter die Lupe nehmen, sondern auch Nora. Sie war in dem ganzen Spiel extrem eifrig und ich wollte zu gerne wissen, warum. Zu meiner Überraschung lehnte sie ab. »Ich kann nicht. Ich muss lernen.«
»Aber die nächste Klausur ist doch erst übernächste Woche.«
»Man kann nie früh genug anfangen, wenn man seinen Platz als Jahrgangsbeste verteidigen will.«
Die restliche Stunde verlief ziemlich ereignislos, vor allem, weil Schnitzler natürlich kein echtes Königswasser dabeihatte, sondern irgendwelche anderen öden Säuren, die kein bisschen Metall auflösen konnten. Die Mädchen nutzten den Unterricht, um zu quatschen, zu telefonieren, zu twittern oder ihren Facebook-Account zu bearbeiten. Die Schulklingel hatte noch nicht das Ende des Unterrichts eingeläutet, da standen einige schon auf und gingen raus. Auch Nora packte ihre Sachen. »Kommst du mit in die Cafeteria?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ein andermal. Ich will Chemie als Prüfungsfach im Abi nehmen. Und in meiner alten Schule hatten wir ganz anderen Stoff.« Ich seufzte. »Ich rede am besten mal mit ihm.« Ich deutete auf den Lehrer.
»Also gut. Dann bis später.«
Schnitzler war immer noch mit seinem Kram beschäftigt, hatte scheinbar gar nicht bemerkt, dass die Stunde zu Ende war.
Ich stellte mich vor.
»Ach, Sie sind das«, sagte er ohne jede Wertung in der Stimme.
»Wissen Sie, Herr Schnitzler, ich sammele von allen Lehrern die Geburtstagsdaten ein, damit ich Geschenke für die Jahrgangsstufe organisieren kann.«
»Oh«, sagte er überrascht, »Ich habe am 25. Dezember Geburtstag.«
Ich unterdrückte den Impuls, ihm die Brille höher auf die Nase zu schieben, die erstaunlicherweise noch immer am Rande des Abgrunds schwebte. »Jahrgang?«
Er sah mich nachdenklich an, als müsse er überlegen, wann er geboren sei. Oder weil er dachte, das ginge mich ja nun gar nichts an.
»Wegen der Karte«, sagte ich schnell. »Damit wir wissen, zu welchem Geburtstag wir gratulieren müssen.«
»Ach so, klar. 1959.«
»Super, vielen Dank. Ich habe schon eine tolle Idee für ein Geschenk«, plapperte ich, dann hörte ich ein Räuspern. Frau von Cappeln stand hinter mir und musterte mich kritisch.
»Guten Tag«, grüßte ich artig.
»Es hat zur Pause geläutet, Natascha.« Frau von Cappelns Stimme war unterkühlt. »Die Schülerinnen sind angehalten, diese draußen auf dem Schulhof zu verbringen.«
»Natürlich, Frau von Cappeln, selbstverständlich, ganz wie Sie meinen.«
Sie wandte sich an Schnitzler. »Und, Herr Kollege, gab es heute irgendwelche Vorfälle?«, hörte ich sie im Rausgehen fragen und ich verlangsamte meinen Schritt auf Schneckentempo. Mal sehen, was er so zu berichten hatte. »Wie? Was? Nein, das Experiment ist dieses Mal einwandfrei verlaufen, keine Verpuffung oder Ähnliches.«
Von Cappeln seufzte. »Nein, das meine ich nicht. – Natascha?«
»Ja?«
»Verschwinden Sie auf der Stelle.«
»Wird gemacht.« Immerhin konnte ich mir die kleine Provokation verkneifen, ein »Sir« dranzuhängen.
Die Pausen sind ja bekanntermaßen die wichtigsten Unterrichtseinheiten in der Schule. Während man in Englisch, Mathe oder Deutsch nur theoretisches Zeug aus dem Lehrbuch beigebracht bekommt, das man in der späteren Berufspraxis vielleicht nie mehr braucht, weil
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