Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben
war. Nora dagegen funkelte mich fragend an. Ich zuckte mit den Schultern. Pascal stimmte zum Abschied noch ein Lied an und Fabiennes, Irinas und Evelyns Stimme wetteiferten mal wieder um die auffälligste Darbietung. Ich aber suchte in Gedanken immer noch das Biolabor ab. Mir war, als ob ich etwas vergessen hätte. Nur was? Als der letzte Ton verklungen war, raffte ich meine Tasche an mich und eilte zur Tür, doch Nora war mir auf den Fersen. »Und?«, fragte sie begierig. »Noch was gefunden?«
»Ja«, sagte ich leise und zog sie in die Ecke.
Sie machte kugelrunde Augen. »Und was?«
»Blut.«
»Nein«, keuchte sie.
»Doch«, sagte ich. »Neben dem hintersten Pult. Guck es dir an, bevor die Stunde losgeht.«
»Logo«, sagte sie, schnappte ihre Tasche und eilte hinaus. Ich folgte ihr, ließ aber den Abstand zwischen uns vergrößern, was sie nicht zu bemerken schien, und bog eine Tür vorher ab in den Chemieraum, wo wir gleich Unterricht haben würden. Der Chemieraum war direkt neben dem Biolabor und die Tür, vor der die Leiche gesessen hatte, verband die beiden Räume miteinander. Gut möglich, dass der Mörder die Leiche hier versteckt hatte. Der Raum war eines dieser typischen Chemielabors mit fünf langen feuerfesten Tischen, auf denen sich jeweils ein Wasser- und ein Gasanschluss befanden. An der einen Wand standen diverse Schränke und dort gab es auch einen Arbeitsplatz hinter einer Glasscheibe und einer Abzugshaube darüber. Für Versuche mit giftigen Substanzen. Ich schlich umher, den Blick auf den Boden gerichtet, und suchte Flecken. Echte Blutflecken. Das eben im Bioraum war nämlich Nagellack gewesen, was ich sowohl an den zarten Glitzerpartikeln als auch an dem eindeutigen Geruch nach Lösungsmittel erkannt hatte. Vermutlich hatte sich ein Mädchen im Unterricht die Nägel lackiert. Würde mich nicht wundern. Ich verwarf den Gedanken, dass das eine heiße Spur war, und überlegte weiter. Mal angenommen, ich hätte jemanden ermordet und müsste schnellstens die Leiche verschwinden lassen – dann würde ich sie als Allererstes von dem Ort entfernen, an dem sie gesehen wurde. Durch die Verbindungstür wäre es natürlich ein Leichtes gewesen, sie aus dem Biolabor in den Chemieraum zu verfrachten. Aber sie einfach auf den Boden zu legen, wäre natürlich total riskant gewesen. Da hätte ein Blick genügt, um sie zu entdecken. Viel sicherer wäre es gewesen, sie unter einem Tisch zu verstecken. Ich ging zu der Verbindungstür und schaute von dort in das Chemielabor. Der Tisch rechts hinten an der Wand war nicht nur am weitesten weg, sondern auch am schwersten einzusehen. Auf dem Weg dahin scannte ich den Boden nach Schleifspuren. Nichts. Der Tisch selbst war ziemlich massiv, nicht nur eine Platte mit vier Beinen, sondern ein stabiles Ding, mit Kästen rechts und links und einer Art schmaler Tunnel in der Mitte, der auf der anderen Seite an der Wand endete. Ja, das wäre ein gutes Übergangsversteck. Vielleicht fand ich darunter irgendetwas. Ich schob die beiden Stühle zur Seite und kroch unter den Experimentiertisch, gerade als die ersten meiner Mitschülerinnen den Raum betraten. Egal. Ich würde hier einfach schnell machen. Zum Glück fiel Licht durch den seitlichen Spalt, sodass ich die Oberfläche der Kacheln überprüfen konnte. Aber außer Staub sah ich nichts. Ich tastete zur Sicherheit noch den Boden unter dem Tischteil ab, wo ich nicht drunterkriechen konnte, und bekam auch etwas zu fassen. Das war vielleicht was, dachte ich aufgeregt, doch das Ding, das ich hervorzog, war nur ein alter Gummiballon, wie er auf Pipetten saß. Ich ließ ihn enttäuscht fallen, wandte mich um, um aus meinem Versteck zu kriechen, da bemerkte ich, dass sich zwei Mädchen genähert hatten, die sich auf die Stühle plumpsen ließen und mir mit ihren Beinen jetzt glatt den Weg versperrten. Das eine Mädchen trug anthrazitfarbene Uggs zu Jeans, das andere hautfarbene Strumpfhosen und geringelte Söckchen zu weißen Pumps. Ich hatte zwar noch nicht alle Klassenkameradinnen im Kopf, aber bei diesen beiden war ich mir sicher. Es waren Milena und Jennifer. Ich überlegte gerade eine elegante Lösung, um mich aus dieser peinlichen Lage zu befreien, da sagte Jennifer: »Meine Güte, Evelyn hat aber mal wieder alles gegeben, um sich in den Mittelpunkt zu spielen.«
»E-k-e-l-h-a-f-t«, sagte Milena.
»Und Fabienne konnte das natürlich nicht zulassen.«
»Fabienne ist eine arme Wurst«, kommentierte Milena.
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