Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben
»Aber wieso?«
»Hab ich doch gar nicht«, sagte ich. »Ich habe die Anschlüsse überprüft.« Ich drehte auf dem Tisch an der Schraube, die den Gasverschluss regulierte. Es tat sich nichts. »Da ist alles in Ordnung«, sagte ich. »Gott sei Dank.«
Die vier Mädchen beobachteten mich ungläubig.
»In meiner alten Schule hat es mal einen Unfall gegeben«, improvisierte ich. »Da war ein Leck im Gasanschluss und dann ist das ganze Ding explodiert. Im Unterricht!«
»Echt jetzt?«, fragte Jennifer skeptisch. »Da habe ich aber nichts von gehört.«
»Die Schulleitung hat es vertuscht«, sagte ich und drehte auch an dem Wasseranschluss, um meine Inspektorenrolle glaubwürdig durchzuhalten. Ich dachte, der wäre ebenfalls abgestellt, und war deswegen total überrascht, als Wasser rausgeschossen kam. Im Reflex hielt ich einen Finger davor, was aber leider nur bewirkte, dass Wasser zur Seite und Kim ins Gesicht spritzte. »Ey, bist du bescheuert?«, schrie sie. »Mein Make-up!«
Ich drehte das Wasser schnell wieder ab. Kim hielt entsetzt die Hände vors Gesicht, mit einem Sicherheitsabstand von einem Zentimeter, um die dicke Schicht Schminke nicht zu berühren.
»Wasseranschluss einwandfrei«, stellte ich fest. »Und das mit deinem Make-up wollte ich nicht.« Ich kramte in meiner Tasche. »Hier. Als Entschädigung für die Unannehmlichkeiten besteht die Firma darauf, Ihnen diese kleine Aufmerksamkeit zu überreichen.« Ich gab ihr meine Diorskin Forever Foundation, Farbton Mediumbeige. »Hat eine sehr cremige Textur und legt sich um die Haut wie eine Couture-Robe.«
Kim glotzte mich konsterniert an, nahm aber mein Make-up und zog dann aus ihrer Schultasche einen Handspiegel in Pizzagröße hervor, um ihr aktuelles Erscheinungsbild zu überprüfen. Das Wasser perlte von ihrer zwei Nuancen zu dunklen Grundierung ab. Sie tupfte es mit einem Wattebausch, den sie aus ihrer Tasche zutage förderte, ab. In dem Moment kam der Lehrer, Herr Schnitzler, rein, beladen mit einer abgewetzten Ledermappe, einem Stapel Papiere und zwei braunen Glasflaschen, in denen irgendwelche Flüssigkeiten schwappten. Er hatte zerzaustes grau meliertes Haar, seine Lesebrille hing auf dem letzten Millimeter seiner Nasenspitze und sah aus als würde sie jeden Moment in die Tiefe stürzen. Grobe Strickjacke, verwaschenes T-Shirt, schwarze ausgebeulte Lederhose. Wenn ich einen zerstreuten Professor casten müsste, würde ich ihn vom Fleck weg engagieren. Über den Rand seiner Brille begrüßte er uns, aber keiner beachtete ihn.
»Also, bis später dann«, sagte ich zu den vier Mädels und suchte mir einen Platz weiter vorne. Als ich ihnen den Rücken zukehrte, sagte Coco, ohne sich um Diskretion zu bemühen: »Die ist doch nicht ganz dicht.«
Jennifer antwortete leise, aber so, dass ich es immer noch hören konnte: »Kein Wunder, dass sie von der letzten Schule geflogen ist.«
»Was?«, riefen die anderen.
»Das stimmt«, rief ich ihnen zu. »Erzähl es ihnen ruhig, Jennifer!« Sie guckte etwas irritiert, dann beugte sie sich zu ihren Freundinnen und berichtete ihnen brühwarm, was sie wusste. Ich ging zu einem Tisch mit der Sportskanone Suze und zwei anderen Mädchen, die mir ganz sympathisch schienen.
»Wir machen heute ein ganz tolles Experiment«, nuschelte der Lehrer und wurschtelte vor sich hin, als ob wir gar nicht da wären. Nora kam als Letzte herein und steuerte direkt auf mich zu. »Ich hab den Fleck gefunden!«, flüsterte sie aufgeregt. »Aber ich glaube nicht, dass es Blut ist.« Sie hielt eine kleine Plastiktüte hoch, in dem sich ein paar rote Späne befanden. »Ich habe es abgekratzt. Und wenn du mich fragst, ist es eher Farbe.«
»Echt jetzt?«, fragte ich und tat so, als ob ich mir die Späne noch mal genauer anschaute. »Ach, das habe ich gar nicht bemerkt.«
»Wie gut, dass du mich hast«, sagte Nora.
Herr Schnitzler war zu dem Arbeitsplatz hinter Glas gegangen, wo er eine Flüssigkeit in einen Kolben füllte. »Wir beschäftigen uns heute mit Königswasser«, verkündete er.
»Waas? Mit Kölnischwasser? Ihhh! Das stinkt«, rief Coco in den Raum und ihre Freundinnen kicherten. Herr Schnitzler schaute über seine Brille auf die gackernden Mädchen, war kein bisschen irritiert und ging auch gar nicht auf den Zwischenruf ein. »Königswasser ist eine Mischung aus Salzsäure und Salpetersäure. Diese Mischung kann sogar die königlichen Metalle Gold und Platin auflösen.«
»Meine Ringe gebe ich Ihnen aber nicht für
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