Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben
Klassenkameradinnen auch auffiel, aber die anderen schauten andächtig nach vorne und versuchten sich ebenfalls im therapeutischen Abbilden von Empfindungen. Ich begann zu ahnen, dass sie hier alle schön Punkte fürs Abitur sammelten. Aber das Ganze kam meiner unterentwickelten gestalterischen Begabung sehr entgegen und das Klecksen von Farbe war wirklich viel lustiger, als irgendeinen realen Gegenstand abmalen zu müssen. Die anderen waren ganz versunken, malten eifrig und kicherten mit Beate Friedrichs, wenn sie zu ihnen an den Tisch kam. Eine lockere Atmosphäre wie bei einem Mädelsabend. Nur mir gefiel sie nicht. Irgendwas war hier falsch. Künstlich. Unecht. Na ja. Was soll’s. War mir wurscht. Hauptsache, ich musste keine Stillleben von Trauben, Blumen oder Fasanen malen. Ich nahm den dicksten Pinsel, den ich finden konnte, tunkte ihn tief ins Dunkelblau und malte große unordentliche Kreise auf das Blatt.
»Aha, Natascha«, sagte Beate Friedrichs und guckte mir über die Schulter. »Welches Gefühl haben Sie denn dargestellt?« Ihre Stimme war hart und metallisch und ihr Tonfall spöttisch, ganz anders als eben, als sie giggelnd durch den Raum gelaufen war.
»Ich dachte, das könnte man erkennen«, sagte ich.
»Viel Wind um nichts?« Sie lächelte. Aber nur mit dem pink geschminkten Mund. Nicht mit den Augen.
»Nein. Das ist der Strudel der Verwirrung.«
»Aha.« Sie starrte noch einen Moment auf mein Blatt, dann richtete sie sich auf, schon im Gehen begriffen, da sagte sie knapp: »Das müssen Sie noch mal machen. Verwirrung ist kein Gefühl.« Sie beugte sich über das Blatt meiner Sitznachbarin.
»Hallo?«, rief ich. »Natürlich ist Verwirrung ein Gefühl.«
»Nein. Noch mal machen!«, herrschte sie mich an und wandte sich zur hinteren Tischreihe. »Ah, Heidrun, was haben Sie da gemalt?«
»Vernunft!« Heidrun Zumke strahlte über beide Backen. Aber vielleicht waren auch nur die Flechtzöpfe für ihr straffes Lächeln verantwortlich.
»Toll, wirklich…«
»Moment mal«, unterbrach ich. »Vernunft ist ja nun wirklich kein Gefühl. Und Kim hat Chillen am Sonntag gemalt. Was soll das für eine Emotion sein?«
»Das habe ja nun wohl ich zu entscheiden«, sagte Friedrichs schroff und ich unterdrückte das Bedürfnis, ihr die ausgeleierten Ohrläppchen an die Schulterpolster zu tackern.
»Na, dann male ich wohl besser was anderes«, sagte ich laut. Ich lächelte und fragte liebenswürdig: »Wie wäre es mit Stutenbissigkeit? Wäre das ein Gefühl, das Ihnen zusagen würde?«
Gut. Es ist jetzt keine Überraschung, dass Beate Friedrichs an diesem Tag nicht dem Natascha-Sander-Fanclub beigetreten ist. Aber was bildete die sich eigentlich ein? Dass sie mit dieser Nummer bei mir durchkam? So Lehrerinnen, die einen auf jugendliche Schwester machten, waren mir ja grundsätzlich suspekt. Die wollten sich mit uns verbünden, aber gleichzeitig die Macht behalten. Das funktionierte nicht. Zumindest aber war Beate Friedrichs sofort an die Spitze meiner Idioten-Lehrer-Charts geschossen. Zum Glück war Kunst ein Fach, das mich sowieso nicht interessierte. Um 13.30 Uhr war die Stunde zu Ende, die Schule aus. Ich eilte aus dem Kunstraum im Erdgeschoss, stieg die Treppe hoch in den zweiten Stock, dem Strom der Schülerinnen entgegen. Ich hatte noch nicht schulfrei. Ich hatte eine Verabredung. Damit Enzo nicht misstrauisch wurde, hatte ich ihm erzählt, dass ich noch eine Bio-AG besuchen würde. Und das war nicht gelogen. Ich traf mich tatsächlich zu einer Arbeitsgemeinschaft im Biolabor. Zu einer ganz speziellen.
7
In dem Erker am Ende des Ganges gegenüber von den Toiletten warteten die beiden auf mich. »Hi Justus«, sagte ich erleichtert und umarmte meinen besten Freund. »Und Herr Pohlmann ist auch da, super.« Ich streichelte den Basset Hound mit den sensationellsten Schlappohren nach denen von Beate Friedrichs. Er schaute mich mit seinen triefenden Augen freudig an und wedelte mit dem Schwanz.
»Ist es das Biolabor da vorne?«, fragte Justus. Aufgeregt war er und richtig süß dabei. Wir hatten vor vielen Jahren mal einen Sommer lang Detektiv gespielt, da war er acht und ich siebeneinhalb gewesen. Wir hatten Kalle Blomquist gelesen und wollten auch unbedingt einen Kriminalfall lösen. Aber so viel wir auch schnüffelten, wir hatten nichts gefunden, was über einen verschwundenen Blumentopf hinausging. Justus hatte sich natürlich seit damals etwas verändert. Vom Aussehen her ist er ein richtiger
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