Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben
man sich entscheidet, Floristin zu werden oder Schwimmlehrerin oder Journalistin, lernt man auf dem Schulhof das Wertvollste: was fürs Leben.
Lektion 1: Cool bleiben, auch wenn einen alle für verrückt halten.
Milena, Irina, Jennifer und Kim belagerten wieder die Bank neben dem Trinkbrunnen, Nevaeh-wie-Heaven-nur-rückwärts stand auch bei ihnen. Als ich rauskam, drehten sich alle wie auf Kommando um, weil aber Milena irgendwas zischte, guckten sie gleichzeitig wieder weg, nach dem Motto: Sie darf nicht merken, dass wir über sie sprechen. Ich winkte ihnen zu, was sie zum Anlass nahmen loszuprusten.
Lektion 2: Einen Platz suchen, an den man sich stellen kann, ohne unsicher zu wirken.
Nora fiel als Anlaufstelle aus, sie war anscheinend doch nicht in die Cafeteria gegangen, denn sie lief am Rand des Schulhofs telefonierend auf und ab. Ich entdeckte Heidrun Zumke, die sich mit einem Mädchen zusammengetan hatte, das Alina Schröder hieß und samt und sonders in Naturtextilien gekleidet war, was ich ja echt gut finde. An anderen. Für mich als Mode-Freak ist das zwar moralisch erstrebenswert, aber leider in der Praxis nicht umsetzbar. Sobald es eine Roberto-Cavalli-Öko-Linie gibt, bin ich dabei. Aber – immerhin – wegen ihres ökologischen Interesses erschien mir Alina sympathisch. Doch Heidrun Zumke drehte mir demonstrativ den Rücken zu und ich wollte sie nicht provozieren und ließ sie in Ruhe. Fabienne, die Sängerin, stand in einer Ecke und simste rasend schnell. Mmmhh. Dann waren da noch Jasmin und Diana…
»Hey«, sagte da jemand neben mir, »ich bin Merle. Und du bist Natascha, nicht wahr? Ich wollte mal schnell Hallo sagen und dich was fragen, okay?« Sie hatte einen kleinen Sprachfehler und lispelte entzückend. Mit ihrem dunkelblonden Kraushaar, der Charakternase und spektakulären Hasenzähnen wirkte Merle mit ihrer enthusiastischen Verschrobenheit, als würde sie später als Wissenschaftlerin zu großem Ruhm und Ehre gelangen.
»Okay, schieß los«, sagte ich.
Sie funkelte mich verzückt an. »Ich wollte dich fragen, ob du Lust hast, bei unserer Tierpräparatorengruppe mitzumachen.«
»Was?«
»Ja, ich und ein paar aus der Elf haben eine Tierpräparatorengruppe gegründet und bearbeiten im Moment Pferdehufe, super, habe ich meinem Vater als Aschenbecher geschenkt. Und Joy aus der Zwölf hat einen Beutel Fuchszähne besorgt, da wollen wir als Nächstes ran, da kann man echt coole Ketten draus basteln.«
Lektion 3: Nette Angebote von total durchgeknallten Leuten freundlich, aber bestimmt abweisen.
»Weißt du, Merle, das klingt wirklich… interessant, aber ich muss mich jetzt im Moment erst einmal auf andere Dinge konzentrieren.«
»Och, schade. Na gut. Vielleicht kommst du dann mal zu unserer Squaredance-Truppe?«
Oh, da hatte ich es ja wirklich mit dem absoluten It-Girl der Liebfrauenschule zu tun. »Ich seh mal zu, ob ich es einrichten kann.«
»Toll! Ach so und wenn du mal irgendwelche Toten findest, dann sag mir Bescheid.«
»Was? Na, das hat sich aber schnell rumgesprochen«, brummte ich.
»Wie bitte? Was meinst du?«
»Was meintest du denn?«, fragte ich schnell zurück.
»Na, ich meine tote Tiere. Katzen oder Igel, die tot sind, aber noch in gutem Zustand. So was sammeln wir zum Üben.«
»Okay«, sagte ich gedehnt, dann läutete die Schulglocke das Ende der Pause ein und ich glaube, ich bin noch nie so froh gewesen, wieder in den Unterricht zu dürfen. Bizarr. Äußerst bizarr.
Die folgende Doppelstunde verbrachte ich im Kunstunterricht. Langsam schwirrte mir der Kopf vor lauter neuen Leuten. Die Kunstlehrerin allerdings konnte ich mir leicht einprägen. Sie hatte einen ziemlich hohen Wiedererkennungswert, um das jetzt mal nett zu formulieren. Beate Friedrichs war eine gruselige Wasserstoffblondine à la Brigitte Nielsen. Sie trug ein grasgrünes Satin-Jackett mit breiten Schulterpolstern, an der Taille zu eng, einen Jeansrock, zu kurz, dicke schwarze Ohrringe im Gipsy-Style, zu schwer. Die Ohrläppchen waren derart ausgeleiert, dass man anhand ihrer Schwingungen die Windgeschwindigkeit hätte messen können. Sie laberte von der befreienden Wirkung, die die bildliche Darstellung von Gefühlen mit sich brachte, und kleckste mit großen Gesten Acrylfarbe auf eine Leinwand. Sie hielt sich offensichtlich für eine begnadete Künstlerin. Ein Hamster, der einen Pinsel halten könnte, würde es allerdings genauso gut hinkriegen. Ich guckte mich um, ob ihr mangelndes Talent meinen
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