Gefährliche Gefühle - zu schön zum Sterben
Natascha, okay?« Bevor ich auflegte, meinte ich, noch das Schnappen eines Feuerzeugs gehört zu haben.
Dann rief Enzo doch noch an. Er war schon auf der Autobahn Richtung Norden. Ich erzählte ihm, dass Dimitri angerufen hätte und ich ihm jetzt gleich die Tasche geben würde.
»Nein«, stöhnte Enzo. »Das geht nicht. Du musst das verschieben!«
»Das kann ich nicht!«
»Okay«, sagte er. »Aber warte auf mich. Ich komme.«
»Du willst den Job sausen lassen?«, fragte ich.
»Bevor du dich allein mit der Russenmafia einlässt, lasse ich jeden Job sausen.«
»Du bist aber nicht mehr rechtzeitig hier«, sagte ich. »Ich treffe mich schon gleich mit ihm! Und wer weiÃ, wie sauer er erst wird, wenn ich nicht wie verabredet komme!«
»Aber du darfst da nicht alleine hingehen«, sagte er drängend.
»Tu ich ja auch nicht. Ich habe die Polizei eingeschaltet. Bastian bringt sie mit, für den Fall â¦Â«
Ich hörte Enzo vor Wut schnaufen. »Natascha«, sagte er noch einmal und seine Stimme war mit enormer Energie aufgeladen, die mich normalerweise in andere Sphären katapultiert hätte. Aber jetzt gerade war ich zu sehr damit beschäftigt, nicht durchzudrehen. »Warte auf mich. Ich sage meinem Boss, dass â¦Â«
»Nein, lass mal«, unterbrach ich. »Es wird schon hinhauen«, sagte ich mit aller Ãberzeugungskraft, die ich aufbringen konnte, und dann legte ich auf, bevor mich der Mut verlieÃ. Es war zehn Uhr dreizehn. Ich holte die Tasche unter meinem Bett hervor und rannte die Treppe hinunter. Hedi trat wie gerufen aus dem Aufenthaltsraum. Unter anderen Umständen hätte ich sie gefragt, ob sie eigentlich die ganze Zeit hinter der Tür lauerte, um beim kleinsten Geräusch parat zu stehen. Meine Mutter rief aus der Küche: »Natascha! Ich habe Scones gebacken!«
Ich legte eine Vollbremsung ein. Ich ging zu ihr, umarmte sie fest und gab ihr ihr einen dicken Kuss auf die Wange. »Du bist die beste Mama der ganzen Welt. Eine bessere gibt es nicht«, sagte ich feierlich.
»Was ist denn mit dir los?«, fragte sie lachend.
»Ich wollte das nur mal sagen, weil es stimmt. Und grüà Paps von mir. Ich muss mal eben weg.«
»Vor dem Frühstück?«
»Ja, in einer Stunde bin ich wieder da.«
»Ist gut. Ich halte für dich ein paar Scones im Backofen warm.«
Ich winkte ihr noch einmal, dann folgte ich Hedi nach drauÃen. Es war ungewöhnlich warm an diesem Morgen. Der Himmel hing tief über den kahlen Baumwipfeln, die fast die schweren Regenwolken zu streifen schienen. Definitiv kein schöner Tag zum Sterben.
28
H eute musst du auf die Tube drücken«, sagte ich zu Hedi. »Ich muss um halb elf am Einkaufszentrum sein.«
Es war, als hätte sie schon die ganze Zeit auf diese Ansage gewartet, denn sie brauste durch den Verkehr, dass selbst Sebastian Vettel anerkennend gelächelt hätte. Um zehn Uhr achtundzwanzig bogen wir auf den Parkplatz des Einkaufszentrums ein. Zu meiner Erleichterung stellte ich fest, dass es ziemlich voll war. Menschen schoben gigantische Einkaufswagen in Richtung der gläsernen Schiebetüren, andere bugsierten ihre hoch aufgetürmten Lebensmittel zu ihren Autos. Freundinnen zeigten sich gegenseitig die in den Klamottenläden ergatterten Schnäppchen, Kinder pressten sich die Nase am Schaufenster mit den beweglichen Stofftieren und der groÃen elektrischen Eisenbahn platt. »Wir müssen da rüber«, sagte ich. Hedi rollte zum anderen Ende des Parkplatzes. Der Osteingang war der, der der Ausfahrt am nächsten lag.
»Ich treffe jemanden und gebe ihm die Tasche. Dann fahren wir wieder«, sagte ich. Hedi lieà meine Aussage wie immer unkommentiert und fuhr rückwärts in eine Parklücke, Motorhaube Richtung Ausfahrt und bereit zur Flucht. Ich stieg aus. Sah mich um. Ich konnte weder Bastian noch einen Polizeiwagen sehen. Aber sie mussten gleich da sein. Ich stellte mich vor die Eingangstür. Immer wenn jemand rein- oder rausging und sich die Schiebetüren öffneten, kam ein Schwall warmer Luft heraus. Gestresste Mütter, die ihre kleinen Kinder hinter sich herschleiften, Omas mit silberblauen Haaren und blinkenden Rollatoren und junge Männer mit Plastiktüten des Elektromarktes. Von einem Zweimeterrussen keine Spur. Aber auch von Bastian nicht. Ich sah auf meine Uhr. Fünf nach halb elf.
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