Gefaehrliche Gefuehle
kannst du einen lassen.«
»Und du würdest dich auch von mir nicht abhalten … ach, schon gut. Natürlich nicht.« Er trank seinen Espresso mit einem Schluck aus, stand auf und holte einen Zettel. »Also, was wissen wir von ihm?«
Ich zählte alles auf, was mir einfiel: Größe, Aussehen, Merkmale, Akzent.
»Wie sah das Motorrad aus?«
Ich beschrieb es ihm. Das Nummernschild hatte ich ja leider nicht lesen können. Aber bei dem Auspuff machte Enzo ein nachdenkliches Gesicht.
»Er war doppelläufig, ziemlich lang und die beiden Rohre wurden nach hinten größer«, sagte ich eifrig.
Enzo schrieb das extra dazu. Glaubte ich jedenfalls. Sein Gekritzel war nicht gerade eine Sonntagsschrift.
»Kann uns das weiterhelfen?«, fragte ich.
»Mal sehen«, sagte er. »Klingt wie eine Sonderanfertigung.«
»Und der Motor war auch total laut«, rief ich. »Hat total getuckert, dass es mir im Magen vibriert hat! Und dann ist er davongeschossen wie eine Rakete!«
»Mmmhh«, machte Enzo und schrieb ein völlig seltsames Wort auf seinen Notizzettel.
»Äh«, machte ich. »Was ist Velutusud?«
»Was? Nein, das heißt Verkehrsüb als Abkürzung für Verkehrsüberwachung.«
»Das soll ein k sein? Und das hier ein h? Also echt, jeder Grafologe würde sich an dir die Zähne ausbeißen.«
»Du hast mich enttarnt: Meine Schrift ist meine Geheimwaffe.« Er grinste von einem Ohr zum anderen. »Also, was wissen wir noch?«
»Er hatte eine schwarze Lederkombi, schwarze Stiefel und einen schwarzen Helm an. Und mehr weiß ich nicht. Ach so!« Mir fiel doch noch was ein. »Er hatte meine Telefonnummer. Meine Handynummer.«
»Wie hat er die denn rausgekriegt?«
»Keine Ahnung. Von Philipp kann er sie nicht haben, mit dem habe immer nur E-Mails geschickt. Mit meinem Bruder hatte Dimitri nie Kontakt …«
»Und du stehst auch nirgendwo im Telefonbuch.«
»Natürlich nicht.«
Enzo schrieb »Tel.nr« auf (riet ich jetzt mal, lesen konnte ich das nicht), malte ein Fragezeichen dahinter und kringelte das Ganze ein. »Gut«, sagte er.
»Und jetzt?« Ich rieb mir erwartungsvoll die Hände.
»Und jetzt koche ich uns Penne all’Arrabiata.«
»Oh«, machte ich enttäuscht.
»Magst du keine Peperoncini? Das sind kleine rote scharfe Chilis?«
»Doch«, sagte ich. »Aber ich dachte, wir würden gleich loslegen!«
»Ich sage: Alles zu seiner Zeit«, sagte er mysteriös.
»Geduld ist nicht gerade meine Kernkompetenz«, murrte ich.
»Ich weiß!« Enzo grinste. »Aber du wirst sehen, mit italienischem Essen wird Abwarten zum Kinderspiel!«
Ich musterte ihn kritisch.
»Okay«, gab er nach. »Gleich morgen früh mache ich ein paar Anrufe. Vielleicht kann mir noch mal mein Kumpel bei der Polizei helfen.«
»Okay«, sagte ich. »Das klingt vernünftig.«
Er lachte. »Dass ich dieses Wort mal aus deinem Mund hören würde, damit hätte ich ja nie gerechnet.« Er fasste mich um die Taille und zog mich zu sich heran.
»Was soll das denn heißen?«, brauste ich auf. »Ich bin doch wohl total vernünftig.« Er küsste mich und mir wurde wieder schwummerig. »Jedenfalls solange du mich nicht küsst«, sagte ich matt. »Dann setzt mein Hirn irgendwie aus.« Und dann knutschten wir, bis das Nudelwasser überkochte. Und dann sah ich zu, wie Enzo Nudeln mit scharfer Tomatensoße kochte. Und musste feststellen, dass Enzo ausnahmsweise mal recht behalten hatte: Untätig zu sein, machte viel mehr Spaß, wenn man sich dabei mit köstlichem Essen vollstopfen konnte. Besonders wenn man zu der Pasta reichlich Küsse serviert bekam.
35
I n der Schule waren alle so unmotiviert wie noch nie. Nur Frau Hanemann, unsere Englischlehrerin, nicht. Es war, als hätte das rote Kleid vom Samstag auf sie abgefärbt. Ihre Wangen wirkten rosig und sie redete lauter und lachte viel. Sehr schön. Ansonsten passierte nicht viel. Jennifer hatte sich krankgemeldet. »Diese Krankheit kenne ich«, sagte Kim. »Sie heißt Ich-schäme-mich-in-Grund-und-Boden-Krankheit. Diese dumme Pute! Schleppt einen Journalisten an! Ha. Hat gar nicht gemerkt, dass sie ausgenutzt wird.«
»Das kann doch jedem passieren«, sagte ich. »Dass man sich in einem Menschen täuscht.«
»Wenn man ein Idiot ist, dann ja.« Kims Selbstbewusstsein war nach dem Sieg am Samstag zu unerträglicher Größe aufgeplustert. Sie prahlte die ganze Zeit herum, wie toll es werden würde in Rom und dass sie und ihr Mischa es da richtig krachen lassen würden. Und mir vertraute sie an, dass sie sogar hoffte,
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