Gefährliche Geliebte
suchte ich mir meine Bettgenossinnen mit Umsicht aus. Mag sein, daß ich etwas testen wollte, indem ich mit ihnen schlief; daß ich herauszufinden versuchte, was ich in ihnen entdecken konnte und was sie in mir. Kurz nach der Geburt unseres ersten Kindes erhielt ich eine Postkarte, die zunächst an die Adresse meiner Eltern gegangen war. Es war eine Todesanzeige mit dem Namen einer Frau. Sie war im Alter von sechsunddreißig Jahren gestorben. Aber ich verband nichts mit dem Namen. Die Karte war in Nagoya abgestempelt. Ich kannte niemanden in Nagoya. Schließlich aber begriff ich, wer die Frau war: Izumis Cousine, die früher in Kyoto gewohnt hatte. Ich hatte ihren Namen völlig vergessen. Offenbar war ihr Elternhaus in Nagoya.
Es gehörte nicht viel dazu, sich auszurechnen, daß Izumi mir die Todesanzeige geschickt hatte. Niemand sonst konnte das getan haben. Anfangs konnte ich mir jedoch nicht vorstellen, was ihre Motive gewesen sein mochten. Aber nachdem ich die Karte einige Male gelesen hatte, spürte ich die unversöhnliche Kälte, die in sie eingeflossen war. Izumi hatte nie vergessen, was ich getan hatte, und sie hatte mir nie verziehen. Sie mußte ein trostloses Leben führen - eine zufriedene Frau hätte mir nie diese Karte geschickt. Oder zumindest hätte sie ein paar erklärende Worte dazugeschrieben.
Plötzlich war mir die Cousine und alles, was mit ihr zusammenhing, wieder gegenwärtig. Ihr Zimmer, ihr Körper, die leidenschaftlichen Stunden, die wir im Bett verbracht hatten. Aber die absolute Klarheit, die diese Erinnerungen einst für mich besessen hatten, war verschwunden, wie Rauch verweht. Ich konnte mir nicht denken, woran sie gestorben sein mochte. Sechsunddreißig ist ein so unnatürliches Alter zum Sterben. Ihr Familienname war noch derselbe, was hieß, daß sie nie geheiratet hatte - oder wenn doch, daß sie sich hatte scheiden lassen.
Mehr über Izumi und ihren Aufenthaltsort erfuhr ich von einem ehemaligen Klassenkameraden aus der Oberschule. Er hatte in der Zeitschrift Brutus einen Artikel über Bars in Tokio gelesen, hatte mein Foto gesehen und so erfahren, daß ich die beiden Bars in Aoyama betrieb. Eines Abends kam er zu mir an die Theke und sagte: Hey, Mann, was macht das Leben? Nichts deutete darauf hin, daß er eigens meinetwegen gekommen wäre. Er war nur zufällig mit ein paar Freunden da und hatte einfach hallo sagen wollen. »Ich komme oft hierher«, sagte er. »Mein Büro ist ganz in der Nähe. Aber ich hatte keine Ahnung, daß die Bar dir gehört. Wie klein die Welt doch ist.« Ich war auf der Oberschule eher ein Außenseiter gewesen, er dagegen hatte immer gute Noten gehabt, hatte viel Sport getrieben und war ganz der Typ gewesen, der es zum Schulsprecher bringt; umgänglich, nie aufdringlich, ein durch und durch netter Junge. Er hatte in der Schulmannschaft gekickt und war schon damals kräftig gebaut gewesen, aber jetzt war er ein wenig in die Breite gegangen: Er hatte ein Doppelkinn, und sein Dreiteiler spannte. Kommt davon, wenn man ständig Kunden zum Essen ausführen muß, erklärte er. Große Firmen sind die reinste Hölle, sagte er. Ständig Überstunden, Kunden ausführen, alle naselang wird man versetzt; leiste dir einen Patzer, und sie schmeißen dich raus, erfüll dein Soll, und sie setzen es herauf. Nicht gerade das richtige Umfeld für einen anständigen Menschen. Wie sich herausstellte, war sein Büro in Aoyama 1-chome, gerade ein paar Häuserblocks von meiner Bar entfernt. Wir unterhielten uns über die Dinge, über die sich ehemalige Klassenkameraden, die sich seit achtzehn Jahren nicht mehr gesehen haben, zu unterhalten pflegen - Beruf, Ehe, Anzahl der Kinder, gemeinsame Bekannte, die man inzwischen zufällig wiedergesehen hat. Und da erwähnte er Izumi. »Da gab's doch ein Mädchen, mit dem du damals herumgezogen bist. Ihr wart ständig zusammen. Sowieso Ohara.«
»Izumi Ohara«, sagte ich. »Genau«, sagte er. »Izumi Ohara. Na, und die habe ich vor kurzem zufällig wieder getroffen.«
»In Tokio?« fragte ich erschrocken. »Nein, nicht in Tokio. In Toyohashi.«
»In Toyohashi?« wiederholte ich, noch erstaunter. »Du meinst Toyohashi in der Aichi-Präfektur?«
»Genau.«
»Das verstehe ich nicht. Wieso hast du Izumi in Toyohashi getroffen? Was sollte sie denn da treiben?« Offenbar hatte er etwas Hartes und Unnachgiebiges aus meiner Stimme herausgehört. »Das weiß ich auch nicht«, sagte er vorsichtig. »Ich habe sie einfach dort gesehen. Aber es
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