Gefährliche Geliebte
eine Wüste.«
Er ging nach Hause, und ich blieb allein an der Theke sitzen und trank. Selbst nachdem die letzten Gäste gegangen waren und die Bar geschlossen hatte, nachdem das Personal aufgeräumt hatte und ebenfalls gegangen war, blieb ich noch, allein. Ich wollte noch nicht nach Hause. Ich rief meine Frau an und sagte ihr, ich hätte noch etwas zu erledigen und es würde spät werden. Ich schaltete die Beleuchtung aus, blieb im Dunkeln sitzen und trank Whisky. Ich war zu faul, mir Eis zu holen, also trank ich ihn pur.
Einer nach dem anderen verschwindet, unentwegt. Manche Dinge sind auf einmal weg, als hätte man sie herausoperiert. Andere verblassen allmählich im Nebel. Und übrig bleibt nur eine Wüste.
Als ich kurz vor dem Morgengrauen die Bar verließ, fiel ein dünner Regen auf die Hauptstraße von Aoyama. Ich war erschöpft. Lautlos durchtränkte der Regen die Reihen von Hochhäusern, die wie Grabstelen die Straße säumten. Ich ließ mein Auto auf dem Parkplatz der Bar stehen und ging zu Fuß nach Hause. Unterwegs setzte ich mich auf ein Schutzgeländer und beobachtete eine große Krähe, die von einer Ampel herabkrächzte. Jetzt, um vier Uhr früh, sahen die Straßen schmutzig und heruntergekommen aus. Überall lauerte der Schatten des Verfalls und der Auflösung, und ich war ein Teil davon. Wie ein Schatten, in eine Hauswand eingebrannt.
8
Nachdem das Feature mit meinem Namen und meinem Foto in Brutus erschienen war, kamen rund zehn Tage lang immer wieder alte Bekannte in die Bar, um ein paar Worte mit mir zu wechseln. Leute, die mit mir auf der Mittel- oder Oberschule gewesen waren. Bis dahin hatte ich mich immer gefragt, wer denn die Tonnen von Zeitschriften las, die in jedem Buchladen gleich am Eingang stapelweise ausliegen. Aber nun, da ich selbst in einer erwähnt worden war, fiel mir plötzlich auf, daß mehr Leute, als ich je angenommen hätte, förmlich an Zeitschriften kleben. In Frisiersalons, Banken, Cafés, Zügen - an jedem erdenklichen Ort hatten die Leute aufgeschlagene Zeitschriften vor sich und starrten wie gebannt hinein. Vielleicht befürchten die Menschen, sie könnten unvermutet ein bißchen Zeit haben und nichts, um sie totzuschlagen, so daß sie nach irgend etwas schnappen, was ihnen gerade in die Finger kommt. Ich begreif's einfach nicht.
Wie dem auch sei, ich kann nicht sagen, es hätte mich entzückt, all diese Gesichter aus der Vergangenheit wiederzusehen. Obwohl ich auch nichts dagegen hatte, mit ihnen zu plaudern. Es versetzte mich in eine angenehme, nostalgische Stimmung. Und sie freuten sich anscheinend, mich zu sehen. Doch ehrlich gesagt waren mir die Themen, mit denen sie immer wieder anfingen, mehr als gleichgültig. Wie sehr sich unsere Heimatstadt verändert hatte; was andere Klassenkameraden inzwischen so taten. Als ob mich das interessierte. Ich hatte mich von jenem Ort und jener Zeit zu weit entfernt. Zudem rief alles, was sie sagten, Erinnerungen an Izumi in mir wach. Jede Erwähnung meiner Heimatstadt bewirkte, daß ich sie mir allein in dieser düsteren Mietwohnung vorstellte. Sie ist nicht mehr attraktiv, hatte mein Freund gesagt. Die Kinder haben Angst vor ihr. Sie gingen mir einfach nicht aus dem Kopf, diese beiden Sätze. Und die Tatsache, daß Izumi mir niemals verziehen hatte.
Ich hatte den Artikel einfach als willkommene kostenlose Publicity für die Bar angesehen, aber er war noch n icht lange erschienen, als ich ernstlich zu bedauern begann, daß ich der Zeitschrift mein Einverständnis gegeben hatte. Das Letzte, was ich wollte, war, daß Izumi auf den Artikel stieß. Was würde sie wohl empfinden, wenn sie mich so sähe - ungeniert glücklich und erfolgreich, scheinbar ohne jede Narbe aus unserer gemeinsamen Vergangenheit?
Nach einem Monat aber war der Zustrom von alten Bekannten versiegt. Das zumindest ist ein Vorteil von Zeitschriften: Man hat seinen Augenblick des Ruhms, und puff! ist man wieder vergessen. Ich atmete erleichtert auf. Wenigstens hatte Izumi sich nicht blicken lassen. Sie war also doch keine Brutus-Leserin.
Einige Wochen später jedoch, als sich die Aufregung um den Artikel längst gelegt hatte, tauchte die letzte der alten Bekannten auf.
Shimamoto. Es war am Abend des ersten Montags im November. Da saß sie an der Theke des Robin's Nest (so hieß der Jazz-Club, nach einem alten Stück, das ich sehr mochte) und trank ruhig einen Daiquiri. Ich saß ebenfalls an der Theke, drei Hocker weiter, ohne die leiseste Ahnung, daß
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