Gefährliche Geliebte
richtigen Dreh. Ohne den nützt dir alles andere gar nichts.«
»Da scheinst du recht zu haben«, sagte ich. Ich wußte, worauf er anspielte. Der »Dreh«, von dem er sprach, war das System, das er entwickelt hatte. Ein unschlagbares, komplexes System zur Erwirtschaftung gewaltiger Summen durch das Knüpfen eines unübersehbaren Netzes von Beziehungen, das Sammeln wichtiger Informationen und eine darauf basierende Investitionstaktik. Geschickt durch Gesetzes- und Steuerlücken geschleust, machten die Gewinne eine wundersame Metamorphose durch und wuchsen fast ins Unermeßliche.
Hätte ich meinen Schwiegervater nie kennengelernt, würde ich noch heute Schulbücher redigieren, noch immer in einer schäbigen kleinen Wohnung in Nishiogikubo hausen, noch immer einen gebrauchten Toyota Corona mit kaputter Klimaanlage fahren. So dagegen hatte ich es in kurzer Zeit zum Besitzer zweier Bars in einer der schicksten Gegenden Tokios gebracht, zum Chef von über dreißig Mitarbeitern, und ich verdiente mehr Geld, als ich bisher in meinem ganzen Leben verdient - oder zu verdienen geträumt - hatte. Die Geschäfte liefen so gut, daß mein Steuerberater beeindruckt war, und die Bars hatten einen ausgezeichneten Ruf. Ich will damit nicht sagen, daß ein anderer das nicht auch hätte schaffen können. Ohne das Kapital meines Schwiegervaters - und ohne seinen »Dreh« - wäre ich nie auf einen grünen Zweig gekommen.
Aber ganz wohl war mir bei der Sache nicht. Ich hatte das Gefühl, eine unerlaubte Abkürzung genommen, mich unlauterer Mittel bedient zu haben, um dahin zu gelangen, wo ich jetzt war. Schließlich gehörte ich zu der Generation der späten sechziger, frühen siebziger Jahre, aus der die radikale Studentenbewegung hervorgegangen war. Unsere Generation war die erste gewesen, die der spätkapitalistischen Logik, der sämtliche nach dem Krieg noch verbliebenen Ideale zum Opfer gefallen waren, ein schallendes »Nein!« entgegengebrüllt hatte. Es war wie ein Ausbruch von Fieber gewesen, gerade als sich das Land an einem entscheidenden Wendepunkt befunden hatte. Und hier war ich nun, mittlerweile selbst von dieser kapitalistischen Logik vereinnahmt, rekelte mich auf den Polstern meines BMW und genoß Schuberts Winterreise, während ich an einer Kreuzung im schicken Aoyama auf grünes Licht wartete. Ich führte das Leben eines anderen, nicht mein eigenes. Wieviel an der Person, die ich »ich« nannte, war wirklich ich? Und wieviel nicht? Diese Hände, die das Lenkrad umfaßten - zu wieviel Prozent konnte ich sie mein eigen nennen? Und all das, was ich draußen sah - wieviel davon existierte wirklich? Je länger ich darüber nachdachte, desto weniger schien ich es zu verstehen.
Nicht, daß ich unglücklich gewesen wäre. Ich konnte nicht klagen. Yukiko war eine sanfte, aufmerksame Frau, und ich liebte sie. Seit sie nach der ersten Entbindung ein bißchen zugenommen hatte, hielt sie streng Diät und trieb regelmäßig Gymnastik. Aber die paar Pfunde zuviel störten mich nicht - ich fand Yukiko noch immer schön. Ich war gern mit ihr zusammen, und ich schlief gern mit ihr. Sie übte eine lindernde, besänftigende Wirkung auf mich aus. Um nichts in der Welt wäre ich wieder zu dem Leben zurückgekehrt, das ich zwischen Zwanzig und Dreißig geführt hatte, in jene Zeit der Einsamkeit und Isolation. Hier gehörte ich hin, hier fühlte ich mich geliebt und geborgen. Und hier hatte ich die Möglichkeit, andere - meine Frau und meine Kinder - meinerseits zu lieben und zu beschützen. Mich in einer solchen Lage zu befinden bedeutete für mich eine unerwartete Entdeckung, eine völlig neue Erfahrung.
Jeden Morgen fuhr ich meine ältere Tochter zu dem privaten Kindergarten, den sie besuchte, und wir sangen beide zu einer Kassette mit Kinderliedern, die auf der Auto-Stereoanlage lief. Danach spielte ich, bevor ich in das kleine Büro ging, das ich mir in der Nähe gemietet hatte, noch eine Weile mit meiner jüngeren Tochter. Im Sommer fuhren wir übers Wochenende in unser Ferienhaus in Hakone, sahen uns das Feuerwerk an, ruderten auf dem See und streiften über die Hügel.
Während der Schwangerschaften meiner Frau hatte ich ein paar kurze Affären gehabt, aber nichts Ernsthaftes. Mit keiner Frau schlief ich häufiger als ein-, zweimal. Na gut, höchstens dreimal. Ich hatte nie das Gefühl, eine »Geliebte« zu haben. Ich wollte einfach jemanden fürs Bett, und nichts anderes wollten meine Partnerinnen. Um Komplikationen zu vermeiden,
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