Gefährliche Ideen
Kreativität oder solche über Strategie handelt: Unser Gehirn nimmt sie bereitwillig an und glaubt sie. Dieser Neigung verdanken große Teile der Kreativitätsbranche ihre Existenz, und sie hält zahlreiche Kreativitätstrainer und ähnliche Herrschaften in Lohn und Brot. Unbewusst (so hoffe ich jedenfalls) spüren sie, dass Ihre kulturelle Programmierung Sie dazu verleitet, positiv auf bestimmte Aussagen über Kreativität zu reagieren, und sie sind bereit, Ihnen diese Aussagen immer und immer wieder einzutrichtern. Darum werden die immergleichen Beispiele und Fallstudien so oft wiederholt, dass einem regelrecht schlecht werden kann. So wiederholen sie (zum 14 329ten Mal), dass über Kreativität keinesfalls nur geredet werden dürfe, sondern auch danach gehandelt werden müsse.
Und alle nicken zustimmend.
Sie erzählen uns, dass wir uns das Vergnügen zugestehen sollten, auch einmal zu scheitern.
Und alle nicken.
Sie verweisen darauf, dass der Büroalltag deutlich mehr Spaß mache, wenn die Leute bei der Arbeit kreativ sein dürften.
Und alle nicken.
Dann fragen sie, ob das Unternehmen ihrer Meinung nach Kreativität unterstütze, und alle schütteln den Kopf. Kaffeepause, und weiter geht’s – ein typischer produktiver Tag in der Welt des Kreativitätstrainings nimmt seinen Lauf.
Ihr Gehirn ist träge und faul
Einer der Gründe dafür, dass sich hieran nichts ändert, liegt darin, dass die Faulheit unseres Gehirns einen ganz bestimmtenAspekt einschließt: seine Fähigkeit, sich selbst eine Entwicklung vorzuspiegeln, die in Wirklichkeit gar nicht stattfindet. Wird es einem bislang unbekannten Stimulus ausgesetzt, etwa einer neuen Übung oder einer Denksportaufgabe, reagiert es darauf zunächst nicht kreativ. Anstatt sich zu bemühen, das Problem auf neue Art zu lösen, versucht es üblicherweise, sein Arsenal an herkömmlichen Tricks einzusetzen. Dies bedeutet oft, dass der Versuch, Kreativität durch schlaue Übungen zu stimulieren, zumeist dazu führt, dass das Gehirn
seine eigene Entwicklung aktiv vermeidet
und versucht, auf der Grundlage des Altbekannten über die Runden zu kommen.
Jahrelang hat man uns weisgemacht, wie brillant und komplex das menschliche Gehirn doch sei – es handle sich geradezu um eine Wundermaschine, die wir alle mit uns herumtragen. Darin steckt auch eine Menge Wahrheit, denn das Gehirn ist tatsächlich ein ganz erstaunliches Gebilde. Doch das bedeutet nicht, dass es auch immer zu unserem Nutzen wirkt. Wie Gary Marcus, Psychologieprofessor an der New York University, in seinem Buch
Murks: Der planlose Bau des menschlichen Gehirns
darlegt, ist ein Großteil unseres kognitiven Apparates vielmehr ein recht ungelenkes Ding, in dem zahlreiche Mechanismen, die in prähistorischen Zeiten vielleicht sehr nützlich waren, heute unser Denken sogar behindern können. Gemeinsam mit einigen anderen prominenten Psychologen hat er auf eine sehr einfache, aber oft vergessene Tatsache hingewiesen: Das Gehirn ist ein biologisches Wesen und somit biologisch-organischen Beschränkungen unterworfen. Es heißt gelegentlich, das Gehirn sei ein Muskel, und so ist es auch. Doch ebenso wie ein Muskel ist das Gehirn darauf ausgelegt, energiesparend zu arbeiten und sich nicht mehr zu verausgaben als unbedingt notwendig. Jeder biologische Organismus strebt zuallererst danach, so wenig Energie wie möglich zu verbrauchen.
Wenn also das Gehirn mit etwas Neuem konfrontiert wird, sucht es nach dem einfachsten Weg, das Problem zu lösen. Die meisten Kreativitätstheoretiker sind sich dessen bewusst und versuchen mithilfe von Übungen das Gehirn dazu zu bewegen, diesen Punkt zu überwinden. Doch sie unterschätzen dabei die Anpassungsfähigkeit des menschlichen Gehirns.
Training oder Sonntagsspaziergang?
Jeder, der sich einmal ernsthaft sportlich betätigt hat, weiß, dass der Körper sich leicht an eine bestimmte Art der Belastung gewöhnt. Um sich aber weiter zu entwickeln, muss man neue Wege finden, seinen Körper zu überraschen – wer sein Fitnessprogramm jahrelang unverändert beibehält, kann genauso gut eine Couchpotato bleiben. Das Gleiche gilt für das Gehirn, und dennoch sind nur wenige dazu bereit, der Entwicklung ihres Gehirns so viel Aufmerksamkeit zu schenken wie ihrer körperlichen Fitness. Und genauso wie wir uns wunderbar vortäuschen können, ein kleiner Spaziergang sei genug, damit wir uns den Extra-Donut genehmigen dürfen, machen wir uns gerne vor, dass ein paar schnelle Denkübungen
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