Gefährliche Ideen
Schlüssel dazu ist eine Art dreistes Umkehrmanöver, das darin besteht, alles in eine Kreativitätsaussage umzuwandeln, indem man einfach einen bestimmten Aspekt hervorhebt.
Ein Beispiel: Nehmen wir an, Sie wären ein auf Kreativität spezialisierter Berater. Ihre Aufgabe besteht darin, in einem IT-Un ternehmen eine Brainstorming-Sitzung zu leiten, die Ideen zur Erschließung neuer Kundenkreise hervorbringen soll. Leider ist die Gruppe alles andere als begeistert. Man könnte sogar sagen, dass sie aktiv gegen Sie arbeitet, doch sie ahnt natürlich nicht, dass ich Sie auf genau diese Möglichkeit vorbereitet habe … Zunächst tun die Teilnehmer die gesamte Übung als sinnlos ab. Sie behaupten, es mache keinen Sinn, neue Kunden zu werben, wenn man schon mit den bisherigen nicht fertig werde. Perfekt, Zeit fürden ersten Konter. Rufen Sie einfach aus: »Fantastisch! Sie haben das Problem benannt und neu definiert! Sehr kreativ!«
Leicht verblüfft beschließt die Gruppe, mit dem Brainstorming dennoch fortzufahren, versucht aber gleichzeitig, Sie aus der Bahn zu werfen, indem sie das Ganze nicht ernst nimmt. Stattdessen beginnt sie darüber zu diskutieren, ob man nicht gemeinnützigen Organisationen helfen sollte, und zwar kostenlos. Nun sind Sie wieder an der Reihe: »Genial! Sie sind auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen und arbeiten proaktiv an der Markenbildung! Sehr kreativ!«
Ehrlich erschüttert befindet die Gruppe nun, dass dies eine furchtbare Idee war, aber so ist nun einmal das IT-Geschäft, und vielleicht sollte sich das Unternehmen lieber auf den Gebrauchtwagenhandel spezialisieren oder T-Shirts mit obszönen Aufdrucken verkaufen. Ganz außer sich vor Entzücken rufen Sie nun: »Ausgezeichnet!!! Sie blicken über den Tellerrand hinaus und bemühen sich, Ihre Kompetenzen zu erweitern!! Sehr kreativ!« Und so weiter – bis in alle Ewigkeit.
Sie merken schon, auch Sie können ein Kreativitätsberater werden!
Denken Sie daran: Immer weiter reden, immer weiter zustimmen und immer weiter alles kreativ nennen.
Geben Sie nie zu, dass Sie alles nur vortäuschen.
Natürlich behaupte ich nicht, dass jede Kreativitätsberatung so leicht oder so holzschnittartig ist. Doch unter den Denkern und Autoren zum Thema Kreativität gibt es mehrheitlich eine Tendenz, immer irgendetwas zu finden, wofür man sich begeistert und dem man applaudiert. In dieser seltsamen Welt spielt die rosarote Brille, die wir beim Sprechen über Kreativität gerne aufsetzen, einfach eine etwas zu große Rolle. Alles ist ein wenig zu simpel, ein wenig zu offensichtlich. Und richtig absurd wird es, wenn man sich die üblicherweise verwendeten Beispiele näher ansieht. In gleicher Weise wie bestimmte Übungen sich in jedem Buch,das neu auf den Markt kommt, wiederfinden, werden manche Unternehmen oder Anekdoten hundertmal recycelt, ohne dass jemand auch nur mit der Wimper zuckt (mein persönlicher Favorit ist die endlose und recht bizarre Neigung, die Leute daran zu erinnern, dass irgendein unglückseliger Schallplattenmanager die Beatles abwies – ich habe das schon so oft gelesen, dass mir schlecht wird, wenn es wieder einmal jemand aufwärmt).
Zurzeit haben sich zwei Unternehmen als Schablonen etabliert, die man offensichtlich nicht oft genug anführen kann – ich spreche natürlich von Apple und Google, den Vorzeigeunternehmen aus der Serie »Wie Sie durch Kreativität zum Milliardär werden können«. Besonders Apple hat sich zu einem solchen Evergreen der Businessliteratur jeglicher Couleur entwickelt, dass ich mittlerweile vermute, es könnte irgendeine Art von Verkaufsförderungsabkommen dahinterstecken. Richtig lustig wird es, wenn man bedenkt, dass das Unternehmen zu der Zeit, als es zur Ikone der Kreativitätsgemeinde wurde, von einem Mann geführt wurde, der Intoleranz zur Managementphilosophie erhoben hatte – nachzulesen in dem Buch
Steve Job’s Visionen
von Leander Kahney. Ich muss gestehen, dass ich von Steve Jobs recht fasziniert bin, allein schon weil er so elegant viele der Lieblingstheorien aus der Innovations- und Kreativitätsforschung widerlegt. Doch genug von ihm. Um es auf den Punkt zu bringen: Es geht nicht nur darum, dass die Kreativitätsliteratur ständig süßlich-romantische Geschichten wiederholt, in denen alles nett und wunderbar und herrlich ist, sondern diese handeln zumeist auch noch von denselben alten Kamellen – total absurd!
Innovation oder Nachahmung
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