Gefaehrliche Kaninchen
stiller als vorher. Selbst die Vögel halten ihre Schnäbel und nur das Wasser gurgelt hämisch am kaputten Staudamm vorbei.
»Eure Nachbarn«, sagt Max, »führen was im Schilde. Sie hassen euch und wollen euch weghaben. Sie klauen eure Zeitung und haben ein Papier unterschrieben. Das habe ich gesehen. Klaus war furchtbar wütend deswegen.«
Leonie starrt ihn an. »Das sagst du nur so.«
»Nur so?« Max lacht auf. »Warum sollte ich das nur so sagen?«
»Du willst was Gemeines sagen. Du willst dich rächen. Weil deine Eltern sich scheiden lassen.«
»Ich will mich nicht rächen«, sagt Max. Und fügt hinzu, wenn auch leiser: »Und meine Eltern lassen sich nicht scheiden.« Seine Stimme klingt ganz komisch, weil sein Hals wehtut. »Hätten wir das bloß nie getan«, ruft er. »Hätten wir bloß nie unsere Familien getauscht. Jetzt ist alles kaputt. Weil wir nicht da waren.«
Leonie starrt ihn erschrocken an. »Was?«
»Wir waren nicht da. Wir hätten was tun können«, schluchzt Max. Es ist ihm egal, ob Leonie seine Tränen sieht oder nicht. Scheiß drauf. Er darf solche Ausdrücke nicht benutzen, nicht mal denken, aber Erwachsene dürfen sich auch nicht trennen und Essen kochen, wenn sie es nicht können. Oder Bälle und Zeitungen klauen. Und mies sein zu Menschen, die eigentlich total nett sind.
Leonie kommt zu ihm und legt ihm einen Arm um die Schulter. Sie wartet, während Max schluchzt. Sie ist jetzt nicht mehr traurig, sie ist wütend. Wütend und entschlossen.
»Das lassen wir uns nicht gefallen«, sagt sie.
»Was denn?« Max wischt sich mit dem Ärmel seines T-Shirts über die Nase.
»Alles«, sagt Leonie düster. »Los, komm«, sagt sie und zieht Max mit sich zu ihrem Versteck.
Die Burg ist noch so, wie sie sie verlassen haben: Ihr Versteck haben die Staudammzerstörer nicht gefunden. Ein paar Äste sind weggeweht, aber die lassen sich leicht wieder sammeln. Die Tupperdose ist nicht mehr da, die ist wieder in der Küche von Leonies Mutter, aber der Tannenzweig liegt immer noch vor dem Bücherfach. Es riecht nach feuchter Erde und Maulwurfsbesuchen. Neben Leonies rechtem Fuß kriecht eine Schnecke.
»Unsere Nachbarn«, sagt Leonie, die im Schneidersitz sitzt und auf den staudammlosen Bach blickt, »sind Diebe. Sie stehlen unsere Bälle und unsere Zeitungen. Und sie beschweren sich ständig.«
»Meine Eltern«, sagt Max, dem es jetzt ein bisschen peinlich ist, dass er vorhin geheult hat, »sitzen den ganzen Tag nur nebeneinander und lesen. Und jetzt wollen sie nicht mal mehr in einem Zimmer schlafen.«
Leonie nickt düster. »Die beiden brauchen eine Paarberatung.«
»Eine was?« Max schlägt nach einer Kriebelmücke, die sich auf seinem Arm niedergelassen hat.
»Eine Paarberatung. Meine Mutter hat das früher gemacht. Sie hat was mit Sozial. . ., Sozialirgendwas studiert. Und dann hat sie Paare beraten, die sich trennen wollen.«
»Ehrlich?« Max starrt sie an. »Und kann sie das immer noch?«
Leonie wiegt ihren Kopf hin und her. »Versuchen könnte man es.«
»Und mein Vater«, sagt Max aufgeregt, »ist Rechtswissenschaftler. Das ist nicht so wirklich Anwalt, aber etwas in der Art. Der könnte euch helfen mit den Bällen und den Zeitungen.«
Die beiden sehen sich an. Hoffnung keimt auf.
»Wir müssen eins unserer Elternteile tauschen«, sagt Max.
»Zumindest eine Zeit lang«, pflichtet ihm Leonie bei.
»Abgemacht«, sagt Max und hebt die Hand. Leonie schlägt so laut ein, dass sich ein Kaninchen hinter der Burg erschrickt und rasch im Bau verschwindet. Max und Leonie merken davon nichts. Sie schmieden einen Plan.
6. Kapitel
Es ist gar nicht so leicht, seine Eltern vom Reden abzuhalten. Max quatscht und quatscht, während der Pfannkuchen auf seinem Teller kälter und kälter wird.
»Schmeckt er dir nicht?«, schafft es seine Mutter einzuwerfen, als Max’ Hals trocken wird und er Wasser trinken muss.
Max stellt das Glas ab. Er sieht herunter auf seinen Teller. Die eine Hälfte des Pfannkuchens ist fast schwarz, während die obere ein leichter Teigfilm überzieht. »Doch, super«, sagt er lustlos. Dann holt er tief Luft und spricht im selben Augenblick, in dem auch sein Vater loslegt mit »du, Max«.
»Ich habe ein Problem.«
»Du zuerst.« Sein Vater wird wieder ruhig und auch seine Mutter blickt ihn erwartungsvoll an. Es ist völlig ungewohnt für ihn, seine Eltern so aufmerksam zu sehen. Und ohne ihre Lesebrillen. Beinah hätte er es nicht geschafft weiterzureden, doch dann
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