Gefaehrliche Kaninchen
Familie irgendwie ansteckend ist.
»Er hat recht, Peter«, sagt Leonies Vater, der das Gespräch gehört hat und seinen Vater anscheinend schon duzt, »wir sollten uns überlegen, was wir machen. Heute scheinen sich die Bleichgesichter ruhig zu verhalten.«
Max’ Vater kichert wieder. »Die Bleichgesichter. Oh Mann«, sagt er und schüttelt den Kopf.
»Lass uns reingehen.« Leonies Vater schlägt Max’ Vater kameradschaftlich auf die Schulter. »Ich koche uns einen Kaffee. Leonie hat ein paar Kekse gebacken, auch wenn ich für die nicht garantieren kann. Und wir haben noch frische Waffeln.«
»Waffeln, mmh«, macht sein Vater und folgt ihm.
Max starrt den beiden Gestalten mit offenem Mund nach. Klaus mit seinem nackten Oberkörper und der roten Feder im Haar. Seinem Vater, der sein Jackett achtlos vom Gartenstuhl pflückt und hinter sich herschleift wie das Fell eines erlegten Büffels. Oder Bisons. Oder was auch immer.
Nach den Keksen bekommt Issa Bauchschmerzen und will zu ihrer Mama.
»Das liegt wohl eher an dem vielen Teig, den sie genascht hat«, verteidigt Leonie ihr Backwerk. Aber sie begleitet ihre kleine Schwester, die durch nichts zu beruhigen ist. Klaus wird die beiden rüberfahren.
»Dann kann ich mal nachsehen, wie es läuft«, flüstert Leonie Max im Flur zu.
Max nickt. Er will während der Zeit seinen Vater im Auge behalten.
Der hat inzwischen die dritte Waffel verspeist und es sich neben ein paar von Issas Puppen und einem Haufen indisch aussehender Kissen auf dem Sofa gemütlich gemacht. Er hat seine Lesebrille auf. Vor ihm liegt ein Blatt Papier, darauf kritzelt er mit Issas Wachsmalstift.
»Was malst du da?« Max lässt sich auf den Sessel ihm gegenüber fallen.
»Ich male nicht, ich zeichne«, sagt sein Vater.
»Und was zeichnest du?«
»Einen Grundriss von dem Haus und dem Garten. Das mit den Zäunen«, und er tippt gedankenverloren mit dem Wachsmaler auf zwei Striche, »das geht schon mal gar nicht. Da können wir ansetzen.«
Es ist wie zu Hause. Als wäre Max gar nicht da. »Was für Zäune?«, fragt der. Sie sind hier nicht zu Hause. Hier wird er gesehen und es wird mit ihm geredet.
»Welche Zäune«, verbessert Max’ Vater automatisch. Dann sieht er den Gesichtsausdruck seines Sohns. »Entschuldige. Ich sollte dir das vielleicht erklären.«
Max nickt. Ja, sollte er.
»In jedem Bundesland gibt es ein Nachbarrechtsgesetz. Da steht alles drin, was man darf und was nicht. Wie hoch die Bäume sein und wie nah sie zur Grenze stehen dürfen, beispielswiese. Es gibt Regelungen zu Zäunen und Pflanzen …«
». . . und Gartenzwergen?«, fragt Max.
»Na ja, nicht direkt, aber gesetzlich regeln lässt sich das auch. Alles lässt sich gesetzlich regeln«, sagt sein Vater stolz. »Es gibt sogar ein Hammerschlags- und Leiterrecht, falls du vom Grundstück deines Nachbarn aus etwas anbringen musst.«
Max findet es erstaunlich, dass sich erwachsene Menschen mit so etwas beschäftigen. Menschen wie sein Vater. Er überlegt, ob er nicht doch besser Biologe werden sollte.
»Auf jeden Fall gibt es Regelungen zur Einfriedung, zur Nachbarwand und zu Grenzwänden. Diesen Tunnel da, den die Leutchen hier angelegt haben«, und er deutet mit dem Wachsmalstift nach links und rechts, »der geht natürlich auf keinen Fall.«
Von draußen ist Jubel zu hören. Wahrscheinlich ist gerade ein weiterer Bison erlegt worden.
»Und der Lärm?«
»Es gibt natürlich auch eine Lärmverordnung«, sagt sein Vater.
Natürlich, denkt Max.
»Es gibt Fluglärm, Gewerbelärm, Erschütterungen und Freizeitlärm-Richtlinien. Aber das betrifft uns nicht. Uns betrifft«, und er malt einen Kreis um eins der Häuser, »dass Kinder in der Wohnung und im Haus toben und spielen dürfen. Nur übermäßigen oder rücksichtslosen Lärm«, er streicht das Haus durch, das jetzt aussieht wie das Haus vom Nikolaus, »muss der Nachbar nicht dulden.«
Ist es rücksichtslos, über eine erfolgreiche Bisonjagd zu jubeln?
»Und was machst du jetzt?«, will Max von seinem Vater wissen.
»Jetzt setze ich ein Schreiben auf, dass die Nachbarn sofort diese Wände entfernen müssen. Und dann biete ich ein Schlichtungsgespräch an. Dass die Jungs in der Zeit von zwölf bis um drei ruhiger sind und ab acht Uhr nicht mehr draußen spielen, das müssen wir noch besprechen.« Max’ Vater macht ein paar Notizen.
Max fühlt sich, als hätte ihn jemand mit kaltem Wasser übergossen. »Das geht nicht«, sagt er.
Sein Vater blickt auf.
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