Gefaehrliche Kaninchen
Wobei nicht alle gehen : Lukas und Lars schlurfen eher, weil sie noch so müde sind.
Der Kriegspfad ist sowieso reichlich kurz und führt direkt in die Rhododendronbüsche der Vorgärten.
Die hat der Architekt pflanzen lassen: Neben den Eingangstüren der Reihenhäuser, die abwechselnd blau, gelb oder rot gestrichen sind, kommt jeweils ein kleiner Anbau, in dem das Küchenfenster ist. Davor steht immer ein großer Rhododendronbusch.
In dem jeweils ein oder mehrere Indianer hocken.
Max und sein Vater sitzen in dem lila blühenden Busch ganz links, Leonies Vater alleine in dem blauen daneben. Dann kommen Tristan und Max und ganz zuletzt die Zwillinge. In deren Busch, der weiße Blüten hat, ist es am lautesten. Dauernd knistert und knackt es, als wäre ein Waschbär zugange, und mehr als einmal steckt Leonies Vater seinen Kopf heraus und wirft sogar mal einen kleinen Kiesel nach seinen Söhnen.
»Dabei ist er Pazifik«, flüstert Max.
»Was?«, flüstert sein Vater.
»Pscht«, kommt es aus dem Busch neben ihnen.
Endlich wird es still. Die Zwillinge sind wahrscheinlich eingeschlafen. Vögel fangen an zu zwitschern, als die Dämmerung herauskriecht, ansonsten ist alles friedlich. Max hat sich an seinen Vater gelehnt und fühlt sich angenehm schläfrig. Aufgeregt auch, das schon, aber gleichzeitig ruhig und irgendwie geborgen. Das hat er noch nie mit seinem Vater gemacht, draußen im Gebüsch gehockt. Noch dazu in Kriegsbemalung: Leonies Vater hat darauf bestanden und so hat beinah jeder zwei rote Striche im Gesicht. Bei Lukas sind sie allerdings schon gleich verschwunden, weil er sich die Augen gerieben und sie dabei verwischt hat. Und Max’ Vater hat nur einen Strich abbekommen, weil er protestiert hat und Leonies Vater ihn nicht richtig erwischen konnte.
Irgendwo weiter weg raschelt es. Max fragt sich kurz, ob es hier auch Kaninchen gibt, aber wenn, sind sie wahrscheinlich harmlos: Es gibt bestimmt eine Regel gegen sie. Fressen nur bis zwölf und dann wieder ab fünfzehn Uhr, oder so.
Weiter unten geht in einem Badezimmer das Licht an. Max weiß, dass es das Badezimmer ist, weil alle Häuser gleich aussehen. Auch von innen. Das Licht geht wieder aus. Wer immer dort wohnt, ist jetzt sicherlich wieder ins Bett geschlüpft. Max muss gähnen. Das würde er jetzt auch liebend gern, wieder ins Bett schlüpfen. Vielleicht wurde die Zeitung schon ausgetragen?
Noch während er das denkt, hält am anderen Ende der Straße ein VW-Bus. Die Schiebetür wird aufgemacht, eine dunkle Gestalt wirft Pakete auf den Gehweg. Mit einem Rums geht die Tür wieder zu. Die Gestalt steigt ein, dann fährt der VW-Bus weiter.
Dahinten liegen sie, die Zeitungen für das Viertel. Eingepackt, unverteilt und ungeklaut.
Höchstens ein paar Minuten sind vergangen, als eine andere Gestalt sich den Zeitungspaketen nähert. Sie hat eine Taschenlampe dabei, die mal hierhin und mal dorthin leuchtet. Die Gestalt wuchtet die Pakete auf einen kleinen Wagen und zieht sie dann hinter sich her. Max beobachtet, wie sie gemächlich von einer Haustür zur anderen geht. Und wieder zurück zum Wagen. Ein paar Schritte nach vorne und wieder zur Haustür. Und zurück. So geht das eine ganze Weile, und weil die Reihenhaussiedlungsstraße schnurgerade und endlos lang ist, dauert es einige Zeit, bis der Zeitungsausträger näher kommt. Heller geworden ist es inzwischen auch. Max biegt ein paar Zweige beiseite und kann erkennen, dass der Austräger ein Junge ist. Ein Junge, den er kennt.
»Der geht auf meine Schule«, flüstert er seinem Vater zu, der erschreckt den Zeigefinger auf die Lippen legt.
Doch zu spät: Der Zeitungsausträgerjunge hält inne. Wahrscheinlich hat er etwas gehört. Es ist inzwischen so hell, dass man schemenhaft die Büsche, die Erker mit den Küchenfenstern und auch die Briefkästen ohne Taschenlampe erkennen kann, doch jetzt knipst der Junge sie wieder an. Und leuchtet direkt auf die Zwillinge.
»Was macht ihr da?«, fragt er und klingt nicht mal erschrocken, eher erstaunt.
»Pscht«, macht Lukas oder Lars, so genau ist das nicht zu erkennen. »Wir finden raus, wer unsere Zeitung klaut.«
»Ach so.« Der Junge knipst die Taschenlampe wieder aus. Es bleibt einen kurzen Augenblick still, dann fragt er: »Kann ich mitmachen?«
»Was?«
»Ich bin schon fast durch mit meiner Runde. Kann ich auch sehen, wer eure Zeitung klaut?«
»Nun macht schon, bevor er das ganze Viertel weckt«, sagt die Stimme von Georg aus dem anderen Busch,
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