Gefaehrliche Kaninchen
»Was geht nicht?«
»Das kannst du nicht machen.«
Sein Vater zieht fragend eine Augenbraue hoch.
Max denkt fieberhaft nach. Er weiß nicht, wie er es ausdrücken kann. Irgendwie hat er Angst, dass diese Regeln Leonies Familie noch viel mehr einsperren könnten, als die Zäune es tun. »Es geht darum«, versucht er, in Worte zu fassen, »dass manche Menschen mehr Platz brauchen als andere. Und andere zu viel davon haben.« Er denkt da an seinen Vater und seine Mutter, die Räume, die sie alleine bewohnen, sein großes Zimmer, in dem er sich oft so einsam fühlt.
Sein Vater runzelt die Stirn. Er hat sich die Lesebrille auf den Kopf geschoben. »Je enger man zusammenlebt, desto mehr Rücksicht muss man nehmen und desto mehr Regeln gibt es, an die sich alle halten müssen.«
Ja, aber Max denkt bei »Platz« nicht an einen Raum, nicht nur. Er stellt sich Leonie vor, der ein Sessel reichen würde, wenn man sie nur einmal in Ruhe lässt. »Den Platz hat jeder auch in sich drin«, sagt er und findet selbst, dass das blöd klingt. Aber anders kann er es nun mal nicht erklären.
Sein Vater will gerade den Mund aufmachen und etwas erwidern, als die von der Bisonjagd müden Indianer ins Wohnzimmer einfallen. In Sekundenschnelle haben sie jeden verfügbaren Sitz eingenommen, lümmeln sich auf dem Sessel, der Sessellehne, dem Boden, den Kissen.
»Was läuft?«, will Georg wissen. Er verschränkt die Hände auf der Brust, nimmt aber die Füße vom Tisch, als er den Blick von Max’ Vater sieht. »Irgendwas gefunden, womit wir die Bleichgesichter fertigmachen können?«
Leider kommt in diesem Augenblick Leonies Vater zur Tür herein, der so gar nicht davon begeistert ist, dass jemand »fertiggemacht« werden soll. »Und ich möchte so etwas in meinem Haus auch nicht hören.« Er wirft die Autoschlüssel auf den Couchtisch und setzt sich auf die Lehne von Tristans Sessel.
Georg zuckt mit den Achseln, doch man kann sehen, dass es ihm etwas ausmacht: Er wird rot.
»Als Erstes müssen wir dafür sorgen, dass Ihre … äh … deine Zeitung morgen wieder da ist, Klaus«, sagt Max’ Vater.
Leonies Vater nickt.
»Aber wir wissen doch, wer sie hat«, wirft Lukas ein. »Der Hau-den-Specht. Ich hab ihn doch gesehen.«
»Dann müssen wir diesen … Der heißt doch nicht wirklich so? Diesen Herrn darauf ansprechen.«
»Ich finde eher, wir sollten ihn ertappen«, sagt Tristan. »Auf frischer Tat, sozusagen.«
Zu Max’ Überraschung nickt sein Vater langsam. »Das wäre in der Tat am besten.«
»Und wie sollen wir das machen?«, fragt Lukas, der sich neben seinem Zwillingsbruder in den Sessel gezwängt hat, sodass seine Knie fast in Höhe seiner Ohren sind.
»Früh aufstehen«, lächelt Max’ Vater.
8. Kapitel
Es wird noch viel telefoniert an diesem Abend. Max’ Vater informiert seine Frau kurz und knapp darüber, dass er bei Leonies Familie bleiben muss, um einen Zeitungsdieb zu stellen. Leonies Mutter berichtet ihrem Mann, dass sie gerade »so schön im Gespräch« sei und jetzt nicht den Faden verlieren dürfe. Da Issa sowieso schon schlafe, würden sie und Leonie sich eben auch irgendwo hinhauen und erst morgen früh nach Hause kommen. Danach wollen ihre Söhne noch alle mit ihr sprechen und ihr Gute Nacht sagen. Selbst Georg, der dafür eigentlich schon etwas groß ist. Dann spricht Leonie kurz mit Max und schafft es gerade so, ein »wird schon« in den Hörer zu murmeln. Max, der ebenfalls nicht unbeobachtet ist, erwidert ein »hier auch«. Anschließend ist noch einmal Max’ Vater dran, der Max’ Mutter daran erinnert, ihre Blutdrucktabletten zu nehmen. Danach will seine Mutter mit Max sprechen, um ihm Gute Nacht zu sagen. Sie nennt ihn »Schlingel«, also ist sie über das aufgezwungene Gespräch anscheinend nicht allzu böse. Schließlich kommt Leonie noch einmal ans Telefon, um ihrem Vater ein Fernküsschen zu geben. Zu guter Letzt klingelt zwanzig Minuten später noch einmal das Telefon, weil Issa aufgewacht ist und ihrem Papa und allen Brüdern ebenfalls Gute Nacht wünschen will.
Endlich sind alle Familienmitglieder telefonisch geküsst, erinnert oder ermahnt worden und können schlafen gehen.
Max muss Issas Kinderbett nehmen. Er kann nicht gerade behaupten, dass das gemütlich ist. Seine Füße gucken ebenso raus wie die von seinem Vater, der in Leonies Bett schnarcht, aber es ist ja nur für kurze, sehr kurze Zeit.
Schon im Morgengrauen weckt Leonies Vater sie, damit sie auf Kriegspfad gehen können.
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