Gefaehrliche Liebe
tun, wenn ich einfach abtauchen würde? In den Wald verschwinden und nie mehr herauskommen würde? Wäre es vielleicht sogar denkbar, alle meine Lieben mitzunehmen und mitten in der Wildnis ein neues Leben anzufangen? Höchst unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.
Ich schüttele den Kopf, um die Gedanken zu ordnen. Jetzt ist nicht der richtige Moment, um wilde Fluchtpläne zu schmieden. Ich muss mich auf die Tour der Sieger konzentrieren. Das Schicksal zu vieler Menschen hängt davon ab, dass ich eine überzeugende Vorstellung liefere.
Das Morgengrauen kommt vor dem Schlaf und dann klopft auch schon Effie an meine Tür. Ich ziehe die erstbesten Sachen an, die auf der Kommode liegen, und schleppe mich in den Speisewagen. Ich verstehe nicht, weshalb ich früh aufstehen soll, da es ohnehin ein Reisetag ist, aber dann erfahre ich, dass die Verschönerung gestern nur für den Weg zum Bahnhof war. Heute macht sich das Vorbereitungsteam noch mal richtig an die Arbeit.
»Wozu? Bei der Kälte sieht man doch sowieso nichts«, murre ich.
»In Distrikt 11 ist es aber nicht kalt«, sagt Effie.
Distrikt 11. Unsere erste Station. Ich würde lieber in einem anderen Distrikt anfangen, denn in 11 war Rue zu Hause. Aber so läuft das nicht bei der Tour der Sieger. Normalerweise geht es in Distrikt 12 los, dann werden der Reihe nach alle Distrikte durchlaufen, bis die Reise schließlich ins Kapitol führt. Der Distrikt des Siegers wird ausgespart und kommt ganz zum Schluss dran. Sonst veranstaltet Distrikt 12 immer die am wenigsten spektakuläre Feier - für gewöhnlich nur ein Essen für die Tribute und eine Siegesfeier auf dem Platz, bei der niemand so aussieht, als würde er sich amüsieren. In diesem Jahr wird Distrikt 12 zum ersten Mal seit Haymitchs Sieg die Endstation der Tour sein und das Kapitol spendiert die Feier, da ist es wahrscheinlich am besten, wenn wir hier so schnell wie möglich verschwinden, damit alles vorbereitet werden kann.
Ich versuche das Essen zu genießen, wie Hazelle es mir geraten hat. Die Leute in der Küche wollen mir offenbar eine Freude machen. Sie haben mein Leibgericht gekocht, Lammeintopf mit Backpflaumen, und andere Köstlichkeiten. Auf dem Tisch warten an meinem Platz Orangensaft und ein Becher dampfend heißer Kakao. Ich esse eine Menge, und das Mahl ist tadellos, aber ich kann nicht sagen, dass ich es genieße. Außerdem ärgert es mich, dass sich außer Effie und mir niemand blicken lässt. »Wo sind die anderen alle?«, frage ich.
»Ach, wer weiß, wo Haymitch ist«, sagt Effie. Mit Haymitch hatte ich sowieso nicht gerechnet, der geht wahrscheinlich gerade schlafen. »Cinna war gestern lange auf, er musste einen Waggon für deine Kleider organisieren. Er hat bestimmt über hundert für dich. Deine Abendgarderobe ist exquisit. Und Peetas Team schläft vermutlich noch.«
»Muss er nicht vorbereitet werden?«, frage ich.
»Nicht so wie du«, sagt Effie.
Was soll das heißen? Es heißt, dass ich den Vormittag damit verbringen werde, mir die Haare vom Körper reißen zu lassen, während Peeta ausschlafen kann. Ich hatte nicht groß darüber nachgedacht, aber in der Arena haben wenigstens einige der Jungs ihre Körperbehaarung behalten, von den Mädchen dagegen kein einziges. Jetzt erinnere ich mich an Peetas Behaarung, als ich ihn am Bach gewaschen habe. Sehr blond im Sonnenlicht, nachdem ich den Schlamm und das Blut erst einmal abgespült hatte. Nur sein Gesicht blieb vollkommen glatt. Nicht einer von den Jungs bekam einen Bart, obwohl viele alt genug waren. Ich frage mich, was sie wohl mit ihnen angestellt haben.
Wenn ich mich schon groggy fühle, so scheint mein Vorbereitungsteam in noch schlimmerer Verfassung zu sein. Sie stürzen den Kaffee hinunter und tauschen kleine bunte Pillen. Soweit ich weiß, stehen sie nie vor dem Mittag auf, es sei denn, es gibt eine Art nationalen Notstand, wie zum Beispiel meine behaarten Beine. Ich war so froh, als die Haare wieder wuchsen. Als wären sie ein Zeichen dafür, dass alles wieder wie immer werden könnte. Ich streiche mit den Fingern über den weichen, gekräuselten Flaum auf meinen Beinen und überlasse mich dem Team. Keiner von ihnen ist zu dem üblichen Geplapper aufgelegt, deshalb höre ich, wie jedes einzelne Härchen herausgerissen wird. Ich muss mich in einer Wanne mit einer dicken, unangenehm riechenden Lotion baden, während mein Gesicht und meine Haare mit Cremes ein gekleistert werden. Dann zwei weitere Bäder mit anderen,
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