Gefaehrliche Maskerade einer Lady
tatsächlich damit einverstanden, Ihren erstgeborenen Sohn von Ihrem Bruder großziehen zu lassen?“, fragte Ayisha während des gemeinsamen Abendspaziergangs an Deck. Vor ihnen versuchte Cleo, die sich mittlerweile an ihr Brustgeschirr gewöhnt hatte, einen Schatten zu fangen.
„Wie bitte?“ Rafe war in Gedanken in weiter Ferne. Diese Ausflüge an Deck waren seine Rettung, denn es bereitete ihm Höllenqualen, mit Ayisha in der Kabine eingeschlossen zu sein. Er durfte sie ansehen, ihr zuhören, mit ihr plaudern, aber er durfte sie nicht berühren.
Jede Nacht kroch sie zu ihm ins Bett und schmiegte sich eng an die Wand, nur um möglichst viel Abstand zwischen ihm und sich einzuhalten. Sie war darauf bedacht, den Anstand zu wahren.
Im Schlaf allerdings brach die Distanz. Dann kuschelte sie sich eng an ihn. Sie legte eine Hand an seinen Brustkorb, schmiegte die Wange an seine Schulter und schlang ein Bein um seinen Schenkel. Im Schlaf war sie so warm und weich und nur durch sein Versprechen von ihm getrennt. Und dieser Zustand trieb ihn in den Wahnsinn. Er schlief schlecht und erwachte jeden Morgen mit einer Erektion.
„Verzeihung, ich war in Gedanken“, räusperte er sich. „Was haben Sie gesagt?“
„Sie sagten, Sie wollten Ihren erstgeborenen Sohn Ihrem Bruder anvertrauen.“
„Ich sagte, Lavinia und mein Bruder haben sich darauf geeinigt. Ich wurde nicht gefragt.“
„Und würden Sie es tun?“
„Mein Kind in fremde Hände geben?“ Er blickte lange auf das Meer hinaus. „Niemals“, antwortete er leise. „Nicht, solange ich in der Lage wäre, mein Kind zu schützen.“
Ayisha schob ihre Hand in seine Armbeuge. „Und warum ist man von Ihrer Zustimmung ausgegangen?“
Er schüttelte den Kopf. „Ich vermute, George war der Meinung, mir damit einen Gefallen zu erweisen. Vielleicht dachte er, ein Kind wäre mir lästig, weil ich ein unstetes Leben führe.“ Das waren Georges Worte gewesen.
Sie sah ihn fragend an. „Was meinen Sie damit?“
„Er dachte, ein Sohn würde meinen Vergnügungen im Wege stehen.“ Nach acht Jahren im Krieg hatten Rafe und seine Freunde tatsächlich alle Freuden und Ausschweifungen, die das Leben zu bieten hatte, ausgiebig genossen und sich tüchtig die Hörner abgestoßen. Aber im letzten Jahr waren sie dieser Ausschweifungen überdrüssig geworden.
In seiner Offizierslaufbahn hatte er große Verantwortung getragen und Pflichten übernommen, allerdings nie über die Zeit nach dem Krieg nachgedacht. Wie viele seiner Kameraden hing auch er dem Aberglauben nach, auf dem Schlachtfeld sterben zu müssen, sobald er Pläne für die Zukunft schmieden würde. Also hatte er im Hier und Jetzt gelebt.
Da ihm der Gedanke, als Paradeoffizier Soldaten zu drillen, zuwider war, quittierte er den Militärdienst nach dem Krieg. Er hatte gehofft, auf einem ihrer Landgüter arbeiten zu können. Über das dazu nötige Wissen verfügte er allemal, und auch die Brüder ihres Vaters hatten, als Rafe noch klein war, verschiedene Familienunternehmen geleitet.
Doch sein Bruder stellte keine weiteren Anforderungen an ihn. Rafe sollte nur für einen Erben sorgen und ihn George auf dem Silbertablett präsentieren. Es war ein Schlag ins Gesicht.
Wäre diese Entscheidung aus Verachtung für ihn getroffen worden, hätte Rafe mit voller Wucht zurückgeschlagen. Aber George war tatsächlich davon überzeugt, im Sinne seines Bruders zu handeln. Er hatte sich große Mühe gegeben, eine, wie George fand, perfekte Braut für Rafe zu finden. Sie war eine unkomplizierte Frau, die keinerlei Scherereien machen würde.
Das Problem bestand darin, dass unkomplizierte Frauen in Rafes Augen ausgesprochen langweilig waren.
Und so erbärmlich es auch sein mochte, Rafe war unfähig gewesen, die erste freundliche Annäherung seines Bruders nach dem Tod des Vaters zurückzuweisen. Also hatte er die einfache Lösung gewählt und war nach Ägypten geflohen.
„Ich meinte nicht einen Sohn“, unterbrach Ayisha seine Gedanken. „Sondern was meinten Sie mit unstetem Leben?“
„Nun ja, seit dem Tod meiner Mutter hatte ich kein festes Zuhause mehr.“ War das wirklich schon so lange her?
„Seit Ihr Vater Sie fortgeschickt hat.“ Sie klang, als verstehe sie, warum er keines seiner Kinder jemals weggeben könnte. Er hatte gern bei seiner Großmutter gelebt, er hatte sie und ihr Haus in Foxcotte über alle Maßen geliebt, doch zu wissen, dass der eigene Vater sich nicht für ihn interessierte, hatte ihn
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