Gefaehrliche Maskerade einer Lady
Stadt verlassen?“
„Mrs Whittacker? Nein, soweit ich weiß, lebt sie immer noch in Kairo und gibt Klavierstunden. Sie unterrichtete viele englische und andere Kinder, weniger für Geld, sondern weil sie Kinder liebt.“ Sie runzelte die Stirn. „Nein, sie ist verwitwet und sagte, dass sie Kinder gern habe, aber wenn ich es mir überlege, stimmte das überhaupt nicht.“
Ayisha blickte zu ihm auf. „Anfangs war sie wahnsinnig nett zu mir, ich habe mich bei ihr geborgen und gut aufgehoben gefühlt.“ Sie seufzte. „Kinder glauben eben alles, was Erwachsene ihnen erzählen“, fuhr sie mit müder Stimme fort. „Erst später habe ich begriffen, dass es ihr um ganz etwas anderes ging.“
„Worum ging es Mrs Whittacker?“
Sie schüttelte den Kopf. „Das ist längst nicht mehr wichtig.“ „Sie haben mich neugierig gemacht. Ich will wissen, wieso der Klavierunterricht, den Sie so liebten, plötzlich aufhörte.“
Sie seufzte. „Ich glaube, sie hatte eine Schwäche für meinen Vater. Vielleicht hatte sie ja gehofft, ihn heiraten zu können. Ich weiß es nicht.“
„Und Ihr Vater hat ihre Gefühle nicht erwidert?“
„Nein!“ Sie zögerte. „Nein, das hat er nicht. Hören Sie, was jetzt gespielt wird?“ Sie beugte sich wieder über die Reling und horchte gespannt auf die Musik, die vom lauen Abendwind herübergetragen wurde. Rafe aber wusste, dass sie nur das Thema wechseln wollte. Etwas hatte damals zu einem offenbar ziemlich abrupten Ende ihres Klavierunterrichts geführt, und dieses Etwas hatte nicht nur mit vergeblichen Hoffnungen einer Witwe zu tun gehabt, sondern in erster Linie mit Ayisha.
„Sie klangen ja gerade beinahe verärgert.“
„Das Stück kenne ich nicht, aber es ist hübsch, nicht wahr?“ Sie wiegte sich zur Musik, offensichtlich nicht bereit, weiter darüber zu reden.
Aber die Musik hatte ihn auf eine Idee gebracht.
„Ein Walzer“, sagte er und hielt ihr die Hand hin. „Tanzen Sie, Miss Cleeve?“
Sie blickte auf seine Hand und schüttelte den Kopf. „ Ob ich tanze ? Nein, ich habe nur zugesehen, wenn Paare tanzten. Mrs Whittacker gab auch Tanzstunden, aber dafür war ich damals noch zu klein.“
„Dann bringe ich es Ihnen bei.“ Er nahm ihre Hand.
Sie wollte sie ihm entziehen. „Nein, ich kann nicht tanzen.“ Sie blickte verlegen zur Seite.
Doch sie waren allein. Wie üblich, war bei ihrem Spaziergang nicht einmal ein Matrose auf dem Hauptdeck. Einige arbeiteten in der Takelage und waren nur als dunkle Silhouetten am Abendhimmel zu erkennen. Andere werkelten auf dem Vordeck und auf dem Achterdeck. Das Schiff sollte mit der abendlichen Flut auslaufen. Dann würde es hier nur so vor Matrosen wimmeln, doch noch war es nicht so weit.
„Niemand kann Sie sehen“, versicherte er ihr. „Also passen Sie auf“, er zeigte ihr die Schritte und zählte sanft im Takt: „Eins-zwei-drei, eins-zwei-drei, eins-zwei-drei.“ Anfangs stolperte Ayisha noch über ihre Füße, doch Rafe war ein erfahrener und glänzender Tänzer.
Bald hatte Ayisha die Schrittfolge verinnerlicht und ließ sich leichtfüßig über die dicken Planken führen. Er beobachtete, wie sich ihr anfangs angestrengter Gesichtsausdruck zunehmend entspannte, bis sie Rafe strahlend ansah. „Ich tanze“, jauchzte sie, „ich tanze, und es ist herrlich. Oh!“ Sie war Rafe versehentlich auf den Fuß getreten und konzentrierte sich lachend wieder.
Rafe konnte sich nicht an ihr sattsehen. Ihr verhaltener Argwohn der ersten Zeit ihrer Bekanntschaft war gewichen. Nur wenn er sie nach ihrer Vergangenheit fragte, kehrte ihr Misstrauen zurück. Sie verbarg etwas Dunkles, Verstörendes vor ihm, das wusste er, doch in der übrigen Zeit war sie atemberaubend und entzückend.
Rafe drehte sie schwungvoll im Walzertakt über das Deck, bis die Musik endete und beide außer Atem geraten waren.
Er löste seine Hände von ihr und verneigte sich keuchend. „Ich scheine alt zu werden“, scherzte er. „Ich schnappe nach Luft wie ein an Land gezogener Fisch. Es gab Zeiten, da saß ich den ganzen Tag im Sattel und trotzdem habe die anschließende Nacht leichtfüßig durchgetanzt, nur um am nächsten Morgen wieder in den Sattel zu steigen.“
„Das Fieber“, erklärte sie ernsthaft. „Sie sind noch nicht ganz gesund und dürfen sich nicht überanstrengen, sonst erleiden Sie einen Rückfall.“
Er horchte auf das nächste Musikstück, das er nicht kannte. Offenbar ein Tanz aus der Region. „Wollen wir diesen Tanz
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