Gefaehrliche Maskerade einer Lady
Kopf, und ihr Kinn schmerzte an der Stelle, an der der Engländer ihr den Hieb versetzt hatte. Ihr war plötzlich kalt, sie fröstelte.
Rafe Ramsey bemerkte es. Er holte eine Decke, legte sie ihr um die Schultern und packte sie darin ein. Sie verspannte sich unter seinen Berührungen.
Sie hielt ihn zwar nicht für einen Mann, der einer Frau absichtlich Gewalt antun würde, aber sie würde nicht den Fehler begehen, ihm zu vertrauen.
Er war in anderer Hinsicht gefährlich.
„Ihre Großmutter ist sehr einsam, Alicia. Und es ist ihr Herzenswunsch, dass ich Sie finde und zu ihr nach Cleeveden bringe.“
Sie scheute seinen Blick.
Er beugte sich vor, und seine Stimme wärmte ihr Ohr. „Kommen Sie mit mir. Ihre Großmutter wird Ihnen jeden Wunsch erfüllen, und Sie müssen nie wieder Hunger, Not, Angst oder andere Entbehrungen erleiden. Und wenn sie einmal stirbt, erben Sie ihr Haus und ihr Vermögen. “
Ayisha blieb unberührt. Er durfte nicht einmal ahnen, was in ihr vorging.
„Sie ist eine alte Dame, die sich nach Ihnen sehnt. Sie wünscht sich so sehr, dass Sie zu ihr kommen und von ihr geliebt werden.“
Ayisha schwieg beharrlich. Nach Hause bringen, lieben, nie wieder Entbehrungen erleiden, dachte sie.
Er verzauberte sie mit seiner tiefen beschwörenden Stimme. Als könne er Gedanken lesen, hatte er ihre tiefsten Wünsche in Worte gefasst: ein eigenes Heim, eine Familie haben, geliebt werden.
„Es ist schlimm, keine Familie zu haben“, murmelte sie endlich. „Zu niemandem zu gehören.“ Sie dachte an jene ersten schrecklichen Monate, in denen sie vollkommen auf sich allein gestellt war, bis sich schließlich ihr Kater Tom mit ihr angefreundet hatte.
„Ich weiß.“ Der Engländer hockte sich vor sie hin und begann, ihre Fußfesseln zu lösen. „Ich bin froh, dass Sie endlich zur Vernunft kommen. Wenn wir in ein paar Tagen aufbrechen, könnten wir zu Ostern bereits wieder in England sein. Ostern ist früh in diesem Jahr, schon Ende März.“
Ayisha biss sich auf die Unterlippe und betrachtete die großen Hände, mit denen er den Knoten um ihre Knöchel löste. Es waren nicht die Hände eines vornehmen Herrn, auch nicht die eines Gelehrten wie ihrem Vater.
Sie seufzte innerlich. Sie wünschte sich, mit ihm zu gehen, sein Angebot anzunehmen und zu dieser Großmutter reisen zu dürfen, die ihr Liebe und ein Heim bot. Sie hatte eine Familie in England, dem grünen lieblichen Land, in das ihr Vater sie bringen wollte. Sie würde einen englischen Frühling erleben.
Der Engländer bot ihr ein Märchen, aber sie war keine Märchenprinzessin.
Sie betrachtete immer noch seine Hände. Es waren die Hände eines Kriegers oder Bauern, denn sie waren schwielig, vernarbt, gebräunt und kraftvoll. Er hatte sie mit einem Fausthieb bewusstlos geschlagen, ihr Hände und Füße gefesselt. Diese Hände könnten sie ohne große Anstrengung erwürgen. Wenn er wüsste, was sie all die Jahre als Geheimnis gehütet hatte, was würde er ihr antun?
Sie kniff die Augen zusammen, um der Anziehungskraft seiner stahlblauen Augen zu entgehen. Diese Augen verängstigten sie. Dieser Engländer wich ihrem Blick nicht aus und schien tief in ihre Seele vorzudringen. Sie war versucht, seinen Worten zu glauben, ihnen zu vertrauen und sich ihm ganz auszuliefern.
Das Schlimme war, dass sie sich nach dieser Vorstellung sehnte. Sie wünschte, dass irgendwo auf der Welt eine liebevolle Großmutter auf sie wartete, die sie liebte, ihr ein Heim bot, einen Platz in der Welt und Geborgenheit.
Sie hatte einmal ein Heim gehabt und Liebe und Geborgenheit erfahren, doch sie hatte alles verloren. Ihre Mutter und sie hatten an den Vater geglaubt. Sie hatten in ihm den guten und mächtigen Beschützer gesehen. Doch dann hatte er sie verlassen. Ihnen war nichts geblieben. Sogar weniger als nichts, denn ihre Mutter und sie wussten, wie gut und sicher das Leben eigentlich sein konnte.
„Sie werden nie wieder Hunger leiden“, wiederholte der Engländer mit seiner tiefen Stimme. Es klang so verlockend wie goldener Honig mit Opium gewürzt. „Niemand wird Ihnen je wieder ein Leid zufügen. Sie werden für immer beschützt und geborgen sein.“
Seine Worte spannen einen Kokon um ihr Herz und suchten Einlass.
Doch es waren gefährliche und unwahre Worte. Selbst wenn sie diesen Worten Glauben schenken würde, sie waren nicht für Ayisha bestimmt. Sie galten einem anderen, fremden Mädchen.
Sie schüttelte heftig den Kopf, so als wolle sie sich von
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