Gefährliche Nebenwirkung (German Edition)
gemacht worden sind.
»Ich muss meine Schwester anrufen«, versucht Petra auf Englisch zu sagen. Sie greift nach dem Telefon und spricht schnell in einem Dialekt, den ich nur schwer verstehe. Aber ich bekomme ungefähr mit, worum es geht. Eine Enkelin ist aus dem Nichts aufgetaucht. Sie sieht aus wie der Geist von Annaliese.
Wenig später haben Petra und ich uns eingehakt und ich bekomme eine persönliche Führung durch das Haus. Oben stehender Schreibtisch, das Mikroskop und der Stuhl, in dem Annaliese gesessen hat, während sie an chemischen Wirkstoffen gearbeitet hat, die niemals jemand auch nur zu Gesicht bekommen, geschweige denn benutzt hat.
Jedenfalls nicht zu ihrer Lebenszeit,
fügt Petra hinzu.
Ich lasse den Raum auf mich wirken. Die einfachen weißen Tischtücher und die Glastüren, die hinausführen auf einen Balkon mit Blick auf den Zürichsee und die Schweizer Alpen dahinter. Wenn Annaliese morgens das Bett verließ, begann sie jeden ihrer Tage mit diesem unglaublichen Ausblick. Aber mich interessiert noch mehr, was Petra mit dem Satz gemeint hat:
Nicht zu ihrer Lebenszeit.
»Oh, Liebes, es gibt so vieles, was du nicht weißt«, sagt sie auf Deutsch. Vor einigen Jahrzehnten ist ein Chemiker, der Annalieses Aufzeichnungen durchgesehen hat, über etwas gestolpert, das bis dahin alle anderen als unbedeutend angesehen haben. Die Kombination von einigen Wirkstoffen, deren Zweck Annaliese seltsamerweise nie aufgeschrieben hat. Das passte eigentlich gar nicht zu ihr. Sie hat ihre Akten immer sehr sauber geführt. Jahrelang hatten sich die Historiker gefragt, ob die Seiten vielleicht einem von Walthers Assistenten gehört hatten, aber sie wurden bei Annalieses Sachen gefunden und die Handschrift war unverkennbar. Aber was dieser Forscher fand, als er Annalieses Tagebucheintragungen mit den Aufzeichnungen verglich, die in jener Zeit niedergeschrieben worden sein mussten, wurde klar, dass sie persönlich eine schwierige Zeit durchgemacht hatte, irgend ein Problem mit ihrem Mann im Schlafzimmer, das sie versucht hatte zu lösen.
Ich hebe die Augenbrauen.
»Verstehst du, was ich meine?«
Ich nicke, denn ich verstehe sehr gut.
Kurz nachdem Annaliese an diesem Problem gearbeitet hatte, erzählt Petra, wurde entdeckt, dass Arsen in das Erkältungsmittel gemischt worden war, und nicht lange danach verließ Annaliese die Schweiz in Richtung Amerika.
»Willst du damit sagen, dass nach all diesen Jahren Annalieses Rezeptur benutzt wurde, um Viagra herzustellen?«
Petra lacht. »Genau. Sie war ihrer Zeit weit voraus«, sagt sie und berichtet dann, dass Annalieses Tagebücher keinen Zweifel daran lassen, dass sie Walter genauso versucht hat zu helfen wie sich selbst.
Ich kann kaum glauben, was ich da höre.
Petra nickt und erzählt, dass Annaliese später geschrieben hat, sie glaube, die Impotenz ihres Mannes stamme eigentlich daher, dass er nicht in der Lage gewesen ist, die Wahrheit zu sagen.
36
Herr Freymann begrüßt mich an der Tür.
»Sie haben Besuch«, sagt er auf Deutsch. Ein Mann wartet in der Diele. Er ist eingetroffen, kurz nachdem ich davongeradelt war.
Ich knüpfe den kurzen Mantel auf und habe das Gefühl, als hätte ich meinen Kopf gerade in einen Schmelzofen gesteckt. Ich ziehe den Reißverschluss meines Rucksacks auf und drücke ihn an meine Seite.
Jetzt geht schon,
sage ich zu meinen Füßen. Die Freymanns sind im Haus. Mir kann nichts passieren. Ich kann mit allem fertig werden.
Ich gehe um die Ecke und finde meinen Besucher in dem Lehnstuhl. Er sieht mich direkt an, die Hände auf den Armlehnen, die Fußgelenke gekreuzt am Boden. Er ist wie ein Europäer gekleidet, Lederschuhe und Jeans, dass Jackett offen, unter dem sich ein frisches weißes Hemd um seinen schlanken Oberkörper schmiegt.
Sein Gesicht erwacht zum Leben, als er mich sieht. Ich habe das Gefühl, mir knicken die Beine weg. Meine Unterlippe zittertso sehr, dass ich es nicht verhindern kann. »Du siehst aber wieder gut aus«, sage ich, ungelenk, mit unsicherer Stimme, während mir die Tränen in die Augen schießen.
Er steht auf und das Sonnenlicht bricht sich in seinen bernsteinfarbenen Augen.
* * *
Ich schließe die Tür zu meinem Zimmer ab und lehne mich mit dem Rücken dagegen.
»Ich habe den ersten Flug von Guadalajara genommen, den ich kriegen konnte, genau wie du«, sagt er.
»Wie hast du mich gefunden?«
»Eine E-Mail von Willow, als ich hier ankam.«
Ich ziehe meinen Mantel aus und werfe ihn über einen
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