Gefährliche Praxis
sind nicht reich?« Jerry wußte wohl, daß das nicht zum Thema gehörte, aber Messenger interessierte ihn.
»Und auch nicht von Adel. Zufällig bin ich an den meisten Dingen, die teuer sind, nicht interessiert, und ich bin mit einer Frau verheiratet, die es als tolle Herausforderung empfindet, mit dem auszukommen, was da ist. Sie liebt es, zu planen, Kleider zu nähen, vieles selber zu machen – auf die alte Art. Sie arbeitet gern. Und die Arbeit, die ich tue, ist für mich das Interessanteste und Wichtigste, was es gibt. Offen gesagt, bedaure ich jeden, der nicht solch eine Arbeit macht. Aber ich mache sie nicht, weil sie nicht gut bezahlt wird. Ich würde sie auch machen, wenn ich davon zufällig ein Krösus würde.«
»War Mike auch so ein Mensch, als Sie ihn kannten?«
»Wer weiß das schon? Als junger Mensch hat man seine Vorstellungen und Theorien, aber man weiß nicht, wer man ist, solange man sie nicht umsetzt und lebt. Haben Sie C. P. Snow gelesen?« Jerry schüttelte den Kopf. »Interessanter Schriftsteller, jedenfalls in meinen Augen; ob Ihr Professor Fansler zustimmen würde, weiß ich nicht. In einem seiner Bücher läßt er seinen Erzähler sagen, daß es nur eine Methode gibt, herauszubekommen, was man wirklich will: und die besteht in dem, was man hat. Aber Mike war damals zu jung, um diesen Test zu machen. Sie sind auch noch zu jung.«
»Ich will Ihnen mal folgendes erzählen«, fuhr Messenger fort, »obwohl ich fürchte, daß es Ihnen nicht sehr viel hilft – eher umgekehrt. Mike war nicht der Typ, der irgendwen hätte töten können. Einfach nicht fähig dazu, meiner Meinung nach. Um einen Mord auszuführen, braucht der Mensch zumindest zwei Eigenschaften, denke ich mir. Die eine könnte man eine Anlage zum Sadismus nennen, jedenfalls fällt mir kein besseres Wort ein, und die andere ist die Fähigkeit, sich ausschließlich auf das zu konzentrieren, was man erreichen will. Menschen nicht als Menschen anzusehen, sondern als Hindernisse, die aus dem Weg geräumt werden müssen.«
»Sie meinen, er liebte die Menschen und die Tiere und konnte niemanden leiden sehen?«
Messenger lächelte. »Das klingt sentimental. Jeder Mensch, der Arzt werden will, weiß, daß Menschen etwas angetan werden muß, daß sie leiden. Menschen, die niemals jemandem Schmerz bereiten, bewegen auch nichts; und Mike wollte zumindest damals eine Menge bewegen. Ich weiß nicht mehr, was er gegenüber Tieren fühlte – jedenfalls besaß er keines, als ich ihn kannte. Was ich meine, klingt übertrieben, wenn man es in Worte faßt: Er hat um nichts in der Welt jemanden verletzen können – ich meine, zum Beispiel mit einem Witz oder mit einer schlauen Bemerkung. Und er war immer freundlich. Ich lese keine Gedichte, aber ich mußte mir einige damals im College anhören, und an eine Verszeile erinnere ich mich noch heute. Sie sagt viel über das heutige Leben, vielleicht überhaupt über das Leben, »greetings where no kindness is«. Mike hatte immer solch einen Gruß parat. Sie müssen jetzt nicht glauben, ich beschriebe Ihnen einen Heiligen. Mike sah sehr gut aus und wirkte auf Frauen. Er hatte viel Spaß.«
Jerry sah ihn deprimiert an. Es schien furchtbar, daß ihr Hauptverdächtiger sich als keines Mordes fähig entpuppen sollte. Aber schließlich war das hier nur Messengers Meinung, und hatte Messenger so ganz den Durchblick?
Er, Jerry, war einmal im College (um ein Beispiel zu nehmen) an einem Ulk beteiligt gewesen, den sie sich mit einem linkischen, ziemlich weichlichen Jüngling und einer äußerst raffinierten und erfahrenen jungen Frau gemacht hatten. Die Erinnerung daran machte ihm noch heute spürbaren Spaß. Und bestimmt war Freundlichkeit etwas, über das es sich bisher noch nicht viele Gedanken gemacht hatte – und das galt auch für diesen Quatsch mit den Grüßen… Und er war deswegen doch nicht gleich fähig, einen Mord zu begehen. Selbst dann nicht, wenn… also, genau wußte man es nie -; darauf lief es hinaus. Wenn man es nämlich wüßte, dann gäbe es weniger ungelöste Mordfälle.
Messenger schien seine Gedanken zu lesen. »Also, ich bin da keine Autorität, ich habe die menschliche Natur nicht studiert. Das sind nur meine Eindrücke.«
»Sie haben sich als Studenten ein Zimmer geteilt, Sie und Barrister. Kannten Sie ihn schon vorher?«
»Nein. Das Hospital half bei der Suche nach Zimmern und Zimmergenossen. Wenn wir Dienst hatten, schliefen wir natürlich im Hospital, so daß unser Zuhause
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