Gefährliche Praxis
Barrister so unauffällig wie möglich in ein Gespräch zu ziehen. Das fiel Nicola nicht schwer. Sie erschien einfach vor seiner Praxistür, nachdem seine letzte Patientin gegangen war, erinnerte ihn daran, daß er versprochen hatte, ihr zu helfen, wo immer er könne, und sagte zu ihm, sie brauchte jemanden, mit dem sie reden könne. Als ich ein Kind war, haben wir immer ein Spiel gespielt, das ich ziemlich albern fand. Einer der Mitspieler bekam einen Zettel, auf dem irgendein lächerlicher Satz stand, zum Beispiel: ›Mein Vater spielt Klavier mit seinen Zehen.‹ Die Aufgabe bestand nun darin, deinem Gegenüber, der den Zettel natürlich nicht gelesen hatte, eine Geschichte zu erzählen, in den du diesen lächerlichen Satz einzubauen hattest. Natürlich kam dabei eine Geschichte mit lauter unerhört blöden Sätzen heraus, weil dein Gegenüber dreimal die Möglichkeit hatte, den Satz zu erraten, der auf dem Blatt Papier stand. Klar, daß das Gegenüber ihn fast nie herausbekommen hat, weil alle Aussagen, die man machte, genauso verrückt waren wie ›Mein Vater spielt Klavier mit den Zehen‹. Genau auf diese Weise sollte Nicola Barristers Meinung über D. H. Lawrence erfragen, vor allem über seinen ›Regenbogen‹ und dort wieder über eine spezielle Episode. Nicola hatte die entsprechende Stelle in dem Roman noch einmal nachgelesen – sie stand glücklicherweise auf den ersten fünfundsiebzig Seiten. Trotzdem mußte Nicola erst einmal über eine ganze Menge anderer literarischer Dinge reden, um langsam darauf zu kommen. Es durfte ja nicht auffallen. Nicola hat das hervorragend gemacht.«
Kate holte tief Luft und sah Reed an. »Das zweite, was ich ›unternahm‹, wurde auch von Nicola ausgeführt. Sie flatterte auf ihre entzückende Art in Barristers Ordination herum und brachte es fertig, teils durch direkte Fragen, aber zum größeren Teil dadurch, daß sie ihm dies und das erzählte – du kennst Nicolas Art nicht, da entgeht dir viel –, ein paar von seinen Gewohnheiten herauszubekommen. Die dritte Sache kostet Geld. Ich habe Jerry in eine kleine Stadt namens Bangor in Michigan geschickt. Er ist jetzt schon auf dem Rückweg, aber ich habe gestern abend mit ihm telefoniert. Jerry hat dort einiges erlebt. Er hat nach einer alten Dame gesucht, aber die war schon tot. Glücklicherweise ist es eine kleine Stadt, und so hat er die Leute ausfindig gemacht, bei denen die alte Dame bis zu ihrem Tod gewohnt hatte. Sie waren nicht mit ihr verwandt und wurden von ihr für Wohnung, Essen und Pflege bezahlt.
Arrangiert hatte das alles Michael Barrister, der natürlich aus Bangor in Michigan stammt. Er war es auch, der die alte Dame unterstützte. Es war keine große Summe, die er dem Paar, in dessen Haus sie wohnte, bezahlt hat, aber als sie älter wurde und mehr Pflege brauchte, hat er die Summe erhöht. Nach ihrem Tod hat Barrister den Leuten, die sich die Jahre über um sie gekümmert und ihr wohl jene Zuwendung geschenkt hatten, die man nicht kaufen kann, eine ordentliche Geldsumme geschenkt.
Das alles war noch ganz einfach herauszubekommen, aber ich war auf etwas anderes aus, und Jerry hat das mit seinem jungenhaften Charme auch geschafft. Er hat sie nämlich gefragt, ob der monatliche Scheck jemals ausgeblieben sei. Nach dieser langen Einleitung wirst du nicht mehr erstaunt sein, wenn du erfährst, daß das tatsächlich passiert ist. Barrister hatte jeden Monat einen Scheck geschickt, die College-Zeit hindurch, während des Medizinstudiums und der Ausbildung und in der Zeit des Krankenhausdienstes. Dann blieb er aus. Trotzdem haben sie sich weiter um die alte Dame gekümmert, aber schließlich wurde ihnen die finanzielle Belastung zu groß, und so machte sich der Mann auf den Weg nach Chicago. Er bekam heraus, daß Barrister nach New York gegangen war, also ging er in die Bibliothek, ließ sich das New Yorker Telefonbuch geben und fand seine Adresse. Er schrieb an Barrister und bekam einen Antwortbrief, in dem sich Barrister entschuldigte, er habe finanzielle Schwierigkeiten gehabt, aber jetzt sei wieder alles in Ordnung. Dem Brief beigelegt war ein Scheck, der die vergangenen Monate abdeckte und auch den kommenden. Seitdem blieb der monatliche Scheck nie mehr aus, bis zum Tod der alten Dame. Doch in einem der schecklosen Monate hatte die alte Dame Geburtstag gehabt, zu dem ihr Barrister sonst jedesmal einen Brief und ein Geschenk geschickt hatte. Das Geschenk war immer das gleiche: ein kleiner Hund aus
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