Gefährliche Praxis
Porzellan für ihre Sammlung. Als die Schecks nicht kamen und ihr Geburtstag übergangen wurde, wollte die alte Dame Barristers Namen nicht mehr hören. Sie hatte ihn Mickey genannt, wie niemand sonst, aber nun lehnte sie es ab, ihn auch nur zu erwähnen oder gar noch einmal etwas von ihm anzunehmen. Das Paar, bei dem sie lebte, nahm zwar Barristers Geld an, weil es sonst nicht ausgekommen wäre, aber die alte Dame durfte davon nichts wissen. Sie haben nicht noch einmal Kontakt mit ihm aufgenommen, und die alte Dame erhielt auch nie mehr einen Porzellanhund.«
»Rührende Geschichte«, sagte Reed. »Wer war die alte Dame?«
»Tut mir leid. Das hätte ich nicht auslassen dürfen. Sie lebte bei Barristers Großeltern und hat sich um ihn gekümmert, als er noch ein Junge war. Die Großeltern hatten in ihrem Testament alles ihrem Enkel hinterlassen, zusammen mit dem Vermerk, er würde sich sicher immer um die alte Dame kümmern. Was er auch getan hat.
Aber jetzt zurück zu Nicolas Gespräch. Sie hat es mir Wort für Wort wiedergegeben – für den Fall, daß alle Gerichtsstenographen von einer Seuche dahingerafft werden und sämtliche Tonbandgeräte ausfallen, wäre Nicola ein prima Ersatz –, aber ich referiere mal nur das Wesentliche. Barrister hat ›Lady Chatterley‹ gelesen. Sonst kennt er nichts von D. H. Lawrence, den er übrigens öfter mit T. E. Lawrence zu verwechseln scheint, und außerdem hat er noch zum besten gegeben, die moderne Literatur gehe in die falsche Richtung. Für Professoren und Kritiker möge das alles ja ganz nett sein, aber wenn ein Mann wie er ein Buch lesen wolle, dann wünsche er sich eine gute Geschichte und nicht lauter Symbolismus und Leben scheibchenweise. Was Nicola über Barristers Praxis herausbekommen hat, dürfte auch die Polizei schon wissen. Er hat ein Wartezimmer, mehrere Untersuchungsräume und ein Büro. Die Frauen in den entsprechenden Stadien der Entkleidung werden in den Untersuchungsräumen behandelt, und im Büro finden die Konsultationen statt. Barrister geht von Raum zu Raum, desgleichen die Sprechstundenhilfe. Wenn er nicht in diesem Raum ist, kann man annehmen, er ist im nächsten. Die Damen müssen oft eine ganze Weile auf ihn warten und sind daran gewöhnt – ein Umstand, nebenbei bemerkt, den dir jede Frau bestätigen kann, die jemals einen erfolgreichen Gynäkologen konsultiert hat. Mit anderen Worten, wie du ja schon gesagt hast: Barrister hat kein Alibi, obwohl der gute Strafverteidiger, von dem du ja dauernd redest, gewiß viel daraus machen könnte, daß er Sprechstunde hatte zu der Zeit, als der Mord passierte. Wahrscheinlich wird man alle Frauen, die an dem Tag bei ihm waren, sehr genau befragen müssen, was, Gott sei Dank, nicht meine Aufgabe ist.«
Kate sah Reed mit einem Lächeln an. » Zu diesen Informationen füge ich noch etwas hinzu, was ich von Nicola am Tag nach dem Mord gehört hatte, und etwas, was Jerry bei seinem Intermezzo mit der Sprechstundenhilfe aufgefallen war, mir aber, abgesehen davon, nicht so bedeutsam vorkommt: daß Barrister nämlich spezialisiert ist auf Frauen, die keine Kinder bekommen können, auf Frauen, die unter verschiedenen ›weiblichen‹ Problemen leiden, und auf Frauen in den Wechseljahren. Übrigens habe ich meinen Frauenarzt angerufen, einen konservativen Vertreter seines Standes, der auch Ärzte an einem Krankenhaus ausbildet, und ihn konnte ich nun schließlich dazu überreden, mir zu gestehen – alle Ärzte, fällt mir auf, können sich nicht mit der Vorstellung anfreunden, daß Medizin auch schlecht praktiziert werden könnte –, daß viele Ärzte ihre Patientinnen in der Menopause mit wöchentlichen Hormonspritzen behandeln, er dagegen das Gefühl hat, es sei noch zu wenig über die Auswirkungen von Hormonen bekannt und der Meinung ist, man sollte sie nur in äußerst dringenden Fällen geben. Trotzdem gefallen den Frauen die Wirkungen der Injektionen, und so geben viele Ärzte Hormone. Möchtest du einen Drink?«
»Sprich weiter«, sagte Reed.
»Ich werde dir jetzt eine Geschichte erzählen, eine Geschichte, die sich für mich aus all diesen Tatsachen ergeben hat. Es war einmal ein junger Doktor namens Michael Barrister. Er hatte seine Prüfungen und sein Ausbildungsjahr am Krankenhaus hinter sich. Er liebte das Wandern und das Kampieren, vor allem in der Gegend, die wir die kanadische Wildnis nennen. Dort schläft man im Zelt, mietet sich in einem Forsthaus ein oder in einem Gasthaus, wenn man eines
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