Gefährliche Praxis
aufgeschrieben, gefolgt von einer präzisen, ungeschminkten Beschreibung des Arztes und ergänzt durch eine Liste der Eindrücke, die Jerry gewonnen hatte. Er mochte zwar das Gefühl gehabt haben, daß sein Bericht inhaltlich etwas dünn war, aber mit der Form hatte er sich viel Mühe gegeben. Kate lobte ihn für die Sauberkeit, aber er winkte ab.
»Du kannst ja richtig schreiben«, sagte sie.
»Sieh mal einer an. Kennst du das Ding von Lawrence, über das er gequasselt hat?«
»Oh, ja, natürlich. Es muß einen enormen Eindruck auf Barrister gemacht haben. Es stammt aus dem ersten Kapitel von ›Der Regenbogen‹ – keiner hat besser Kinder geschildert als Lawrence, wahrscheinlich, weil er selber keine gehabt hat. Ich sehe, daß du Messenger für einen Mann hältst, dem man vertrauen kann.«
»Ja, das kann man, falls dir das etwas bringt. Ich bin sicher, es bringt dir nichts. Wenn du es genau wissen willst, er hat mich an dich erinnert.«
»An mich? Habe ich denn abstehende Ohren?«
Jerry wurde rot. »Ich meine nicht äußerlich. Der Eindruck, den ich von ihm habe, ähnelt meinem Eindruck von dir. Frag mich nicht, wie ich das meine. Ihr könntet beide die Unwahrheit sagen, aber ihr wüßtet, daß ihr es tut.«
»Das ist aber ein schönes Kompliment, Jerry.«
»Ist es das? Wahrscheinlich ist es der reine, unreife Quatsch. Was habe ich jetzt zu tun?«
»Er hat auf dich nicht gewirkt, als sage er die Unwahrheit und wisse es?«
»Nein, überhaupt nicht. Ich würde schwören, daß er die Wahrheit gesagt hat. Aber es gibt ja auch Leute, die schwören, daß Schwindler ehrlich sind.«
»Ich glaube«, sagte Kate, »wir sollten einmal annehmen, daß er ehrlich ist. Wenigstens so lange, bis wir einen Grund haben, daran zu zweifeln. In jeder Gleichung muß es eine Konstante geben – und bis jetzt hatten wir nur Variablen. Ich glaube, wir setzen Messenger als Konstante ein, und dann sehen wir, was für X herauskommt. Jerry, würdest du es schlimm finden, wenn du jetzt einfach ein wenig herumlungertest? Vielleicht schicke ich dich noch nach Michigan. Das Dumme ist, falls du es wissen willst, daß wir an das ganze Problem mit allzu gezügelter Einbildungskraft herangegangen sind.«
Sie fing an, im Zimmer auf und ab zu gehen. Jerry stöhnte.
17
A m Donnerstagmorgen hatte Kate mit Jerry gesprochen. Jetzt war es Freitagabend. Kate hatte an dem Tag noch einmal jemanden gebeten, ihre Vorlesungen zu übernehmen. Sie sah Reed an, der auf ihrer Couch saß, die Füße weit von sich gestreckt.
»Ich weiß nicht, ob ich dir der Reihe nach erzählen kann, was passiert ist«, sagte sie, »aber ich kann dir sagen, wo ich gestern morgen angefangen habe. Ich habe mit einem seichten Witz angefangen, einem Arztwitz, den ich vor Monaten mal gehört habe. Der fiel mir als erstes ein, als ich aufwachte. Dann dachte ich an ein Foto. Dann fiel mir eine Szene aus einem großartigen modernen Roman ein, die sich unauslöschlich im Gedächtnis eines Mannes festgesetzt hatte, weil sie ihn an einen entscheidenden Augenblick in seiner Kindheit erinnerte. Dann dachte ich an ein assoziatives Wortspiel in einem Traum, keines, das sich auf Liebe oder Verliebtsein bezog, sondern auf Haß und Angst. Dann kam mir eine alte Dame in den Sinn und die kanadische Wildnis.
Ich hatte mich entschlossen, Messenger zu glauben – du hast ja gerade Jerrys Bericht gelesen. Messenger hat gesagt, Barrister sei zu keinem Mord fähig, und obwohl man an dem Satz durchaus zweifeln kann, beschloß ich, im Augenblick nicht daran zu zweifeln. Es gingen mir noch ein paar andere Dinge durch den Kopf. Ein Verfahren wegen eines Kunstfehlers. Sparks, der niemals ein Gesicht vergißt, Nicola und ihre Bereitschaft, einem sympathischen Zuhörer oder auch einem weniger sympathischen fast alles über ihr Leben zu erzählen, was er wissen möchte. Ein Fensterputzer, den es gar nicht gegeben hat, der mich aber auf den Gedanken gebracht hat, wie leicht einer von außen, vom Hof aus, Emanuels Praxis und die Küche in seiner Wohnung inspizieren konnte. Meine Besuche bei Emanuel und Nicola in den schönen Zeiten vor dem Verbrechen. Eine an mich gerichtete Frage: ›Professor Fansler, kennen Sie einen guten Psychiater?‹
Das alles ging mir, wie gesagt, im Kopf herum, aber plötzlich, am Donnerstagmorgen, schienen die Dinge alle ihren richtigen Platz zu finden. Und dann unternahm beziehungsweise veranlaßte ich drei Dinge. Das erste betraf Nicola. Ich rief sie an und bat sie,
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