Gefaehrliche Sehnsucht
war vermodert. Dann setzte er sich daneben, verbarg den Kopf in den Händen und zitterte.
Claire ging ganz langsam auf ihn zu. »Shane«, sagte sie. »Shane, es tut mir so leid. Ich wusste nicht, wie ich es dir sagen sollte. Es tut mir so leid.«
»Unser Haus«, flüsterte er. »Es ist hier. Es sollte hier sein.« Er blickte zu ihr auf und seine dunklen Augen schwammen in Tränen. »Irgendetwas ist passiert. Aber was ist passiert?«
Sie fühlte sich elend und es war schrecklich, was sie ihm jetzt gleich antun musste. »Es gab... einen Unfall.«
»Wo sind sie?«, fragte Shane und sah sich den zerstörten Ort an, an dem sich sein Leben einmal abgespielt hatte. Weiter hinten stand eine verrostete Schaukel, sie war verbogen und kaputt. »Alyssa. Wo ist Alyssa? Wo ist meine Schwester?«
Claire streckte ihm die Hand hin. »Steh auf«, sagte sie leise. »Ich bringe dich hin.«
»Ich will meine Schwester sehen! Ich bin für sie verantwortlich!«
»Ich weiß. Vertrau mir einfach, okay? Ich bringe dich hin.«
Er war jetzt nicht mehr in der Verfassung, wütend zu sein oder auch nur misstrauisch. Er nahm einfach ihre Hand und sie zog ihn hoch, sie hielt seine Hand weiterhin fest und führte ihn die Straße hinunter. Die Sonne schien warm, aber der Wind fühlte sich kühl an, er brachte in kurzen, scharfen Böen den Winter mit.
»Wo gehen wir hin?«, fragte Shane, aber es klang nicht so, als würde ihn das wirklich kümmern. »Ich kann es nicht glauben … Es muss letzte Nacht passiert sein, als ich ...«
»Shane, du hast es doch gesehen. Das Unkraut steht dort hüfthoch. Der Briefkasten war verrottet. Da ist nichts mehr.« Claire holte tief Luft. »Das ist vor Jahren passiert, nicht über Nacht.«
»Du bist ja verrückt.« Er versuchte, sich von ihr loszureißen, aber sie hielt ihn fest. »Das ist nicht wahr. Gestern war es noch da!«
»Hör mir zu! Mein Gott, Shane, bitte! Ich weiß, dass du glaubst, es war erst gestern, aber es ist schon lange her. Du warst... woanders. Du erinnerst dich jetzt nur nicht mehr daran.« Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter und versuchte, tapfer und ruhig zu klingen, als sie weitersprach. »Alles wird gut. Vertrau mir einfach.«
»Bring mich zu meiner Familie.«
Ich bringe dich zu Alyssa«, sagte sie. »Bitte. Vertrau mir.«
Sie kannte den Weg.
Auf dem Friedhof war es kalt und still und der Wind fühlte sich hier noch mehr nach Winter an, auch wenn die Sonne auf den Grabsteinen aus Granit und auf den weißen Marmormausoleum funkelte. An einigen Stellen war das Gras noch grün, aber meist war es braun.
Auf dem Grabstein stand ALYSSA COLLINS, GELIEBTE TOCHTER UND SCHWESTER sowie das Geburts- und Sterbedatum.
Shane las es und sein Gesicht wurde weiß und ganz starr, seine Augen wirkten seltsam, als er Claire ansah. »Das ist nicht wahr.«
»Es tut mir leid«, sagte sie. »Aber es ist wahr.«
»Das ist ein übler Scherz.«
»Nein, Shane«, sagte sie. »Alyssa ist bei dem Feuer ums Leben gekommen. Sie ist vor drei Jahren gestorben, bevor du Morganville mit deiner Mom und deinem Dad verlassen hast. Bevor ich überhaupt hierhergekommen bin. Ich weiß, dass du dich nicht daran erinnerst, aber so war es. Ihr habt die Stadt verlassen und du bist zurückgekommen und in Michaels Haus eingezogen, zusammen mit ihm und Eve. Dann bin ich gekommen und bin ebenfalls dort eingezogen.«
»Nein«, sagte er und machte einen großen Schritt zurück, dann noch einen. Fast wäre er gegen einen anderen Grabstein gestoßen und er suchte daran Halt, als er ins Stolpern geriet. »Nein, du lügst. Das ist irgend so ein krankes Spiel, das Monica sich ausgedacht hat, aber das ist sogar für ihre Verhältnisse echt mies...«
»Shane, das war nicht Monica und es ist kein Spiel! Shan! Hör mir zu!«
»Ich habe dir lang genug zugehört!«, brüllte er. Er versetzte ihr einen so heftigen Stoß, dass sie hinfiel und sich fast an Marvis Johnsons Grabstein den Kopf gestoßen hätte. »Du hältst dich gefälligst von mir und meiner Familie fern, du irres Miststück! Das ist doch krank! Das ist alles gelogen!«
Er versuchte, Alyssas Grabstein umzuwerfen, doch der bewegte sich nicht. Keuchend trat Shane dagegen und CIaire blieb liegen und sah ihm zutiefst bekümmert zu. Sie gedacht, dass ihn das vielleicht überzeugen würde, vielleicht würde es ihn dazu zwingen, sich zu erinnern... aber er erinnerte sich nicht. Er konnte es nicht.
»Bitte«, flüsterte sie. »Bitte, hör auf, Shane. Hör auf, dir
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