Gefaehrliche Sehnsucht
Sicherheitskommando im Flur verschwunden waren und Kyles Schreie sich in der Ferne verloren. Ein weiterer Bodyguard betrat den Raum und machte die Tür hinter sich zu. Dieses Mal war es eine Frau, ebenfalls in einem schwarzen Anzug und mit Sonnenbrille.
Es war ganz, ganz still.
Die Gründerin seufzte und setzte sich wieder auf ihren Stuhl. Es kam Claire so vor, als würde Amelie sich in eine andere Person verwandeln. In eine verunsicherte, unglückliche, traurige Person. Auch Hannah und Richard nahmen wieder Platz. Gleich darauf fuhr Amelie fort. »Claire, das ist eine sehr unerfreuliche Situation. Das ist dir doch klar, oder?«
Claire nickte und dachte: Für mich ist es echt verdammt unerfreulich. Aber das sagte sie nicht laut.
»Da ich Kyle gerade hart bestraft habe, kann ich es mir nicht leisten, dir gegenüber Nachsicht zu üben. Aber es gibt ein paar mildernde Umstände - du hast auf jeden Fall in Notwehr gehandelt, alle Zeugenaussagen stützen das. Die Vampirin, die du gepfählt hast, war bekanntermaßen ungewöhnlich gewalttätig und wir haben schon eine ganze Weile überlegt, wie wir sie zügeln können. Du hast dieses Problem für mich gelöst, und auch wenn das für mich kein Grund zur Freude ist, muss ich doch anerkennen, dass du mir in dieser Hinsicht einen Dienst erwiesen hast. Wieder einmal.«
Amelies lange weiße Finger klopften einen leisen trockenen Rhythmus auf dem Tisch und ihre Augen waren halb geschlossen, während sie Claire mit Blicken taxierte. Schließlich schaute sie zu Richard Morrell. »Was sagen Sie dazu?«
»Sie hat in Notwehr gehandelt. Das ist ungewöhnlich, aber es gibt jede Menge Präzedenzfälle - ich habe das selbst einmal durchgemacht und Sie haben entschieden, dass das, was ich getan habe, gerechtfertigt war. Ich bin nicht dafür, dass sie bestraft wird.«
Amelie sah ihn ein paar Sekunden lang an, nachdem er geendet hatte, und keiner von ihnen blinzelte. Dann wandte sie sich an Hannah. »Und Sie?«
»Nicht schuldig«, sagte Hannah. »Sie haben in Morganville die Gesetze geändert. Sie haben den Menschen das Recht gegeben, sich zu verteidigen, selbst wenn es Vampirleben kostet. Claire hat im Rahmen des Gesetzes gehandelt und zumindest einigen Leuten in diesem Raum das Leben gerettet.«
Amelie schloss einen Moment lang die Augen und sagte: »Es wäre mir lieber gewesen, wenn du bei deiner heldenhaften Verteidigung keine tödlichen Methoden angewandt hättest, aber ich kann nicht leugnen, dass du das Recht auf deiner Seite hast. Ich habe nur die Tradition auf meiner Seite, aber Tradition ist bei den Vampiren eine sehr mächtige Kraft. Es wird ziemlich schwierig sein, sie davon zu überzeugen, dass du nicht mit dem jungen Kyle den Käfig teilen musst. Oliver hat seine Stimme bereits abgegeben. Ich sehe mich gezwungen, ihn zu überstimmen.«
Ohne dass Amelie es sagte, wusste Claire, dass es schwierig, wenn nicht gar unmöglich war, Oliver in seiner Wut umzustimmen. Amelie und Oliver hatten in der Vergangenheit um die Herrschaft über Morganville gestritten, und auch wenn sie einen gewissen Respekt voreinander entwickelt hatten, hieß das nicht, dass sie sich nicht bekämpfen würden. Und zwar erbittert, falls notwendig.
Amelie schlug die Augen wieder auf und sagte: »Als Gründerin von Morganville erkläre ich hiermit, dass Claire Danvers nicht des vorsätzlichen Mordes beschuldigt wird. Allerdings ist sie nicht von allen Anklagepunkten freigesprochen. Claire, ich biete dir zwei Möglichkeiten. Erstens: Du begibst dich in Myrnins Obhut, bis die Sache, für die er deine Hilfe braucht, repariert ist. In dieser Zeit darfst du weder sein Labor verlassen noch deine Freunde oder deine Familie sehen noch ausruhen, bis die Reparaturen zu Myrnins Zufriedenheit abgeschlossen sind. Etwas zu essen und Wasser werde ich dir allerdings zugestehen.«
Claire schluckte. »Und die andere Möglichkeit?«
»Du suchst jemanden aus, der an deiner Stelle die Bestrafung auf dem Founder’s Square auf sich nimmt«, sagte Amelie. »Einen deiner Freunde oder jemanden aus deiner Familie. Es wird nicht die Bestrafung sein, die Kyle bevorsteht, aber es wird eine harte Strafe sein und sie wird öffentlich vollstreckt.«
Wenn ein Vampir sagte, dass die Bestrafung hart war, dann war das nichts, was Claire überhaupt in Erwägung ziehen wollte. Und einen ihrer Freunde aussuchen? Ihre Mom oder ihren Dad? Das konnte sie nicht tun. Das könnte sie niemals tun.
»Überleg es dir gut«, sagte Amelie leise.
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