Gefaehrliche Sehnsucht
ihre Richtung schaute, als er bemerkte, dass sie die Geschwindigkeit nicht verringerte.
»Tut mir leid«, zog Shelly ihre Schultern hoch. Schon an der nächsten Biegung hatte sie den Typen vergessen.
Als sie nach ein paar Meilen in den Rückspiegel ihres Fahrzeugs sah, bemerkte sie Scheinwerfer eines Wagens, der ihr folgte. Sie fand daran nichts Ungewöhnliches. Voller Vorfreude drückte sie auf das Gaspedal und fuhr in Richtung South Shadow Fields. In der Nähe des Paradise Drive bog sie in eine kleine Seitengasse. Unweit ihres Elternhauses parkte sie ihr Auto auf der Straße. Die restlichen hundert Meter wollte sie zu Fuß gehen. Sie brauchte ein wenig Zeit, um sich einen Grund zu überlegen, warum sie für eine Weile nicht nach Hause kommen konnte. Die Wahrheit konnte sie schlecht sagen. Sie atmete die frische Nachtluft tief ein und lauschte dem Rascheln der Blätter. Das kurze Geräusch eines zerbrechenden trockenen Astes hinter ihr ließ sie innehalten. Shellys Sinne arbeiteten auf Hochdruck. Mit zusammen gekniffenen Augen suchte sie die Umgebung ab. Die Dunkelheit machte ihr nichts aus. Im Mondlicht, das gespenstisch das Dunkel der Nacht durchbrach, machte sie unter einem großen Nadelbaum einen Schatten aus. Einen Schatten, der sie an die Nacht ihrer Verwandlung erinnerte. Die düstere Gestalt in Kapuzenmantel bewegte sich langsam in ihre Richtung. Die Gedanken in ihrem Kopf überschlugen sich. Sie musste weg von ihrem Elternhaus. Sie durfte ihre Familie nicht in Gefahr bringen. Einem jähen Impuls folgend, rannte sie zu ihrem Auto zurück und riss die Tür auf. Innerhalb von wenigen Sekunden heulte der Motor auf und sie raste in Richtung Stadtzentrum davon. Sie griff nach dem Handy und wählte Elijahs Nummer. Sie ließ es mindestens zehn Mal klingeln, ehe sie enttäuscht aufgab. Wenn man ihn einmal dringend brauchte, war er nicht zu erreichen. Shelly blickte in den Rückspiegel, aber ihr Auto schien das einzige auf der Straße zu sein. Vorsichtshalber verließ sie trotzdem die Hauptstraße und benutzte kleine Nebenstraßen. Etwas beruhigt griff sie nochmals zu ihrem Mobiltelefon und wählte Leahs Nummer. Zwanzig Minuten später parkte sie vor dem Ruby Skye Club in der Mason Street. Der Ruby Skye war in einem modernen Gebäude untergebracht, das erst vor ein paar Monaten fertig gestellt worden war. Die komplette Front war aus verspiegeltem Glas.
Als Shelly den Club betrat, hallte ihr laute Rockmusik aus den riesigen Lautsprechern entgegen. Pulsierendes buntes Scheinwerferlicht durchschnitt den Nebel, der von der Tanzfläche aufstieg und sich überall hin ausbreitete. Auf der Suche nach ihren Freunden ließ Shelly ihren Blick über die vielen sich bewegenden Köpfe hinweg schweifen. Auf der gegenüberliegenden Seite entdeckte sie einen wuscheligen Blondschopf.
»Noah«, lächelte Shelly und bahnte sich ihren Weg durch die Menge. Als sie an den Tisch kam, rückten die anderen ein wenig zusammen und machten Shelly Platz. Noah kam auf sie zu und umarmte sie.
»Schön, dass wir dich auch wieder einmal zu Gesicht bekommen«, sagte er.
»Versteckst du dich neuerdings vor uns?«, fragte Leah schelmisch.
»Ich habe momentan viel um die Ohren«, verteidigte sich Shelly.
»Es kommen hoffentlich auch wieder ruhigere Zeiten«, lächelte Lucy und kam auf sie zu. »Wenn ich dir irgendwie helfen kann?«, sagte sie laut, um die Musik zu übertönen, »lass es mich wissen.«
Shelly nickte. Bevor sie noch etwas sagen konnte, beugte sich ein großer schlanker Mann zu Lucy und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie lachte fröhlich auf und nickte ihm zu. »Ich geh mal tanzen«, kicherte sie und verschwand in der Menschenmenge.
»Ich mach mich auf die Suche nach Samuel«, sagte Noah und tauchte hinter Lucy in der Menge unter.
»Wo sind Aidan und Elijah?«, rief Shelly in Leahs Richtung, um die dröhnende Musik zu übertönen.
Leah zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung«, sagte sie. »Die beiden haben ihr Handy wohl auf stumm gestaltet. Wir haben mehr als einmal versucht, sie zu erreichen.«
Shelly griff nach ihrem Früchtecocktail und nippte daran. Gedankenverloren blickte sie dann in die sich auf und ab bewegende Menschenmenge vor sich. Sie versuchte Lucy oder Noah unter den Tanzenden auszumachen, aber aufsteigende weiße Nebelschwaden zogen eine Wand vor ihr auf. Ihr Blick schweifte auf die leeren Stühle neben sich und blieb bei Leah hängen. Ihre Freundin wirkte abwesend. Ihr Blick schien sich an irgendjemandem
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