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Gefaehrliche Spur

Gefaehrliche Spur

Titel: Gefaehrliche Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mara Laue
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hinweg.“
    Sie eilte aus dem Zimmer. Rya trank ihren Kaffee und blickte aus dem Fenster auf den Vorgarten. Der Ahornbaum vor dem Haus bewegte sich im Frühlingswind, die Sonne schien herein, und der Tag war viel zu schön für düstere Gedanken und Trauer. Andererseits machte gerade das Erwachen der Natur den Schmerz des Verlustes für Mrs. Olmstead nur noch stärker spü r bar.
    Und nicht nur für sie. Auch Rya hatte etwas verloren, das sie nie zurücke r langen konnte. Reflexartig senkte sie den Kopf und zog die Haare weit genug ins Gesicht, dass sie die Narbe auf der Wange verdeckten. Die Ärzte hatten ihr Bestes getan, und die Narbe würde im Laufe der Zeit noch erheblich bla s ser werden; aber sie würde für den Rest ihres Lebens sichtbar bleiben. Die Wunde war zu tief geschnitten worden und zu lange unbehandelt geblieben, als dass man sie mit der besten kosmetischen Operation vollständig hätte verschwinden lassen können. Mal ganz abgesehen davon, dass Rya für so eine Operation sowieso nicht das erforderliche Geld gehabt hätte. Ihre Kranke n versicherung deckte keine Schönheits-OP ab.
    Aber Rya hatte sehr viel mehr verloren als nur ihre Schönheit. Und sie hatte trotz Dr. Serokvas kompetenter therapeutischer Begleitung – die sowieso noch lange nicht abgeschlossen war – keine Ahnung, wie sie jemals damit fertigwerden sollte. Fertigwerden könnte. Oder ob es überhaupt möglich war, so etwas zu überwinden. Sie war bisher nicht einmal in der Lage gewesen, das Thema anzusprechen. Jedenfalls nicht die Details. Dr. Serkova wusste nur aus den Medien, was passiert war. Und die Medien hatten die Sache aufgebauscht und teilweise falsch dargestellt. Aber sie hatte Rya versichert, dass sie in ihrem eigenen Tempo an die Bewältigung der Sache herangehen könne. Bis sie b e reit wäre, darüber zu sprechen, beschränkte sich die Psychiaterin darauf, Rya weit genug zu stabilisieren, dass sie im Alltag funktionieren konnte.
    Jason hatte aber vollkommen recht mit seiner Einschätzung, dass ein wi n ziges Detail, das sie an das Geschehene erinnerte, genügen würde, um sie zu retraumatisieren. Dafür genügte schon der Anblick weißer Wände oder we i ßer Kacheln auf dem Fußboden oder …
    Mrs. Olmstead kam zurück und lächelte entschuldigend. „Sie müssen mich für eine Heulsuse halten.“
    Rya schüttelte den Kopf. „Ganz und gar nicht. Manche Dinge brauchen i h re Zeit, bis man über sie hinweg ist. Und manche Dinge …“ Sie biss sich auf die Lippen und schwieg. Es wäre nicht sehr einfühlsam, einer trauernden Witwe ins Gesicht zu sagen, dass manche seelischen Wunden niemals heilten.
    Mrs. Olmstead hatte das trotzdem schon verstanden. Sie warf einen Blick auf Ryas noch relativ frische Narbe und nickte. „Unser Pastor kommt einmal die Woche vorbei und erzählt mir, dass auch das s chlimmste Leid einmal endet. Dass Narben bleiben, die immer wieder mal schmerzen, aber dass eines Tages die Freude zurückkehrt, weil Gott uns nie im Stich lässt.“
    Rya lächelte und nickte. Sie glaubte nicht an Gott. Zwar hatte sie früher nicht ausgeschlossen, dass Gott vielleicht existierte, aber seit ihrem Martyr i um war sie davon überzeugt, dass dem nicht so war. Gäbe es Gott, hätte er so etwas niemals zugelassen. Und alles andere Elend in der Welt auch nicht. Aber dieser Moment von gegenseitigem Verständnis zwischen ihr und Mrs. Olmstead tat ihnen beiden gut.
    „ Mrs. Olmstead …“
    „ Janelle.“
    „ Janelle, hat dein Mann vielleicht irgendetwas gesagt, woraus man schließen könnte, wo Marty Kirk sein könnte? Das Hafengelände ist groß. Und hier gibt es mehrere Obdachlosenasyle.“
    Janelle nickte. „Die Adressen kenne ich nicht, aber sie stehen im Telefo n buch.“ Sie drückte Ryas Arm. „Ich hoffe, du findest Marty. Wenn ja, dann sag ihm, dass er hier wohnen kann, bis er wieder auf die Beine gekommen ist. Das hätte Ken so gewollt. Und ich möchte das auch. Wenn Marty ihm nicht das Leben gerettet hätte, wäre Ken in Afghanistan gefallen. Dann hätten wir nicht die letzten Monate vor seinem Tod noch zusammen sein können. Diese Zeit war ein wundervolles Geschenk. Ich wäre mehr als froh, wenn ich Marty das in irgendeiner Weise vergelten könnte.“
    Rya nickte. „Ich richte es ihm aus, wenn ich ihn finde. Vielen Dank für de i ne Hilfe und den Kaffee.“
    Janelle begleitete sie zur Tür und verabschiedete sich herzlich von ihr. Rya ging langsam den gepflasterten Weg durch den Vorgarten und über die

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