Gefaehrliche Spur
Lebens nie wieder finanzielle Sorgen zu haben, war zu verlockend gewesen. Außerdem hatte Tyler ihm zugeraten. Orrin war ve r sucht, ihm die Schuld an seiner Misere zu geben, denn schließlich hatte Tyler gewusst, dass das Blutopfer, das zu diesem perversen Ritual gehörte, ein Mensch sein musste. Doch Tyler traf keine Schuld an Orrins Entscheidung. Er hätte Nein sagen können. Aber er hatte Ja gesagt. Nun zahlte er den Preis dafür.
Caspar Jefferson steckte den Vertrag ein und verabschiedete sich. „Sie e r halten die Police umgehend, Mr. Lawson. Ich wünsche Ihnen ein langes L e ben und vor allem, dass Sie nach Ende der Vertragslaufzeit selbst in den G e nuss Ihrer Versicherung kommen.“
Orrin bedankte sich und begleitete den Mann aus seinem Haus. E s gehörte ihm, nachdem er dank des Geldsegens die Hypothek hatte ablösen können. Aber er konnte sich nicht daran freuen. Er hätte Nein sagen können; Nein sagen müssen. Stattdessen hatte er einen Menschen ermordet, um reich zu werden. Er hätte Gott liebend gern um Vergebung gebeten. Aber einer, der einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat, hat jedes Recht verwirkt, Gott anrufen und Vergebung erhoffen zu dürfen.
Denver, 20. April, 16:45 Uhr
Finsternis. Leere. Stille. Orientierungslosigkeit. Kälte, die schmerzhaft in se i ne Brust eindrang und sein Leben zerstörte. Eine Berührung wie glühendes Feuer, ein grinsender Dämon, der nach seiner Seele griff …
… sind daaa.
Travis fuhr hoch, die Hand zum tödlichen Schlag erhoben.
„ Woa, woa, Mann! Langsam, langsam! Alles okay!“
Travis brauchte einen Moment, ehe er begriff, wo er sich befand: auf dem Beifahrersitz eines alten Fords, dessen Fahrer sich mit angstvoll aufgerissenen Augen gegen die Wagentür drückte und die Hände abwehrend gehoben hatte. Travis ließ die Hand sinken und fuhr sich mit der anderen über das Gesicht.
„ Wir sind da“, sagte der Fahrer. Seine Stimme zitterte.
Travis wurde bewusst, dass der Mann das schon einmal gesagt hatte. Das hatte ihn geweckt. Er sah sich um. Der Wagen stand auf dem Parkplatz eines Restaurants, Frank’s Bar-B-Que, 4700 West Colfax Avenue in Denver. Der Fahrer deutete an Travis vorbei auf die gegenüberliegende Seitenstraße, die von der Colfax abzweigte. Seine Hand zitterte ebenfalls.
„ Wenn Sie da langgehen, kommen Sie direkt auf die West 17th Avenue. Ist nicht weit.“
„ Danke.“ Travis öffnete die Tür. „Sorry, dass ich Sie erschreckt habe.“
„ Schon gut.“ Das klang erleichtert. „Kann mir kaum vorstellen, was ihr Jungs im Irak und Afghanistan mitgemacht habt. Da bin ich froh, dass ich nur ein einfacher, fahrersitzfurzender Handelsvertreter bin. Alles Gute, Mi s ter.“
„ Wünsche ich Ihnen auch. Und nochmals danke fürs Mitnehmen.“ Travis stieg aus, nahm seinen Rucksack vom Rücksitz und schloss die Tür.
Denver. Während der letzten Meilen war er eingeschlafen und hatte wie so oft von seinem Tod geträumt und davon, wie ihm in Savannah die Seele g e stohlen worden war. Beide Ereignisse hatten die unschöne Angewohnheit, in seinen Träumen zu einem einzigen Horrorszenario zu verschmelzen; als ob jedes für sich nicht schon Horror genug gewesen wäre. Dr. Connlin hatte ihm zwar versichert, dass diese Träume mit der Zeit nachlassen würden, aber gegenwärtig waren sie noch sehr aktiv.
Egal. Jeder Agent, der für das DOC arbeitete, verfügte über eine außerg e wöhnlich stabile Psyche. Die gehörte quasi zur Jobbeschreibung. Ohne sie würden wohl nur wenige den alltäglichen Wahnsinn des Bewusstseins ausha l ten, dass Dämonen, Vampire, Werwölfe und nahezu alle anderen Geschöpfe existierten, die Mythen und Fantasyromane bevölkern. Ganz zu schweigen davon, mit solchen Wesen befreundet zu sein.
Travis machte sich auf den Weg. Sams Haus besaß zwei Adressen, da es auf einem Eckgrundstück lag. Die eine, die gleichzeitig die Adresse ihrer Detektei war, lautete 4733C West 17th Avenue, die Privatadresse war 1688A Winona Court. Die Winona Court war die Straße, die gegenüber Frank’s Bar-B-Que in Richtung West 17th führte. Die Menschen, denen er begegnete, ignorierten ihn entweder, oder sie warfen ihm verächtliche Blicke zu. Eine ganz neue Erfahrung, denn als FBI-Agent war er es gewohnt, mit Achtung und Respekt behandelt zu werden und daran, dass man seinen Anweisungen folgte. Seit er das Hauptquartier in einem abgetragenen Militärmantel, nicht minder abg e tragenen Jeans und Pullover verlassen hatte,
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