Gefaehrliche Spur
fand sich in einem Haus wieder, dessen G e mütlichkeit nur durch die düstere Stimmung seiner Bewohnerin getrübt wu r de.
„ Mögen Sie einen Kaffee?“
„ Wenn es Ihnen keine Umstände macht.“ Rya blickte sich im Wohnzimmer um, während Mrs. Olmstead in der Küche Kaffee kochte.
Ein großes Foto von Ken Olmstead dominierte einen kleinen Tisch neben dem Fenster, das mit einer Trauerschleife behängt war. In einem Bücherregal an der Wand stand ein weiteres Foto, das Olmstead mit einem Teil seiner Einheit zeigte. Einer der Männer auf dem Bild war Marty Kirk. Er hatte den Arm um Olmsteads Schultern gelegt und beide lächelten mit den übrigen fünf Soldaten um die Wette in die Kamera. Da die beiden sich offenbar recht nahe gestanden hatten, erschien es Rya relativ unwahrscheinlich, wenn auch nicht ausgeschlossen, dass er sich geirrt haben könnte.
Mrs. Olmstead kam zurück und stellte zwei Kaffeebecher auf den Tisch. „Milch und Zucker?“
„ Schwarz bitte. Danke.“ Rya setzte sich auf ihre Aufforderung zu ihr an den Tisch und nahm den Becher in die Hand. Ein würziger Duft stieg ihr in die Nase, der verriet, dass der Kaffee eine gewisse Stärke besaß.
Mrs. Olmstead schaute zu dem Trauerfoto ihres Mannes. „Es ist eine pe r verse Ironie des Schicksals. Ken hat den Irak überstanden und Afghanistan und hatte nach seiner Rückkehr den Dienst quittiert. Wir hatten uns auf einen neuen Anfang gefreut. Er hatte einen Job bei einer Versicherung bekommen. Und dann geht er raus, um die Blätter von den Stufen im Vorgarten zu fegen, rutscht aus und schlägt derart mit dem Kopf auf eine Stufenkante, dass er sich das Genick bricht.“ Sie brach in Tränen aus. „Entschuldigung“, stieß sie hervor und wischte sich die Tränen ab. „Aber das ist einfach nicht fair.“
„ Nein, ist es nicht“, stimmte Rya zu. Aber das Leben war nie fair. Wäre es das, wäre ihr nicht passiert, was passiert war und würde sie nicht auf Bewä h rung um ihren Job bei Your Eyes kämpfen müssen. „Das tut mir so leid, Mrs. Olmstead.“
„ Danke. Aber Gottes Wege sind eben manchmal für Menschen nicht nac h vollziehbar. Wir können sie nur akzeptieren. Aber das fällt mir in diesem Fall schwer. Mehr als schwer.“ Sie tat einen tiefen Atemzug. „Ken und Marty waren gute Freunde. Marty hat ihm mal das Leben gerettet. Deshalb war Ken auch so erschüttert, als er ihn hier gesehen hat. Das war kurz nach seinem Geburtstag im Juni. Zwei oder drei Tage, bevor er den Unfall hatte. Er sagte, er hätte ihn am Hafen gesehen, zerlumpt und offensichtlich obdachlos. Aber, und das fand Ken seltsam, als er Marty angesprochen hat, ist er weggelaufen.“
Rya fand das gar nicht seltsam. Sie hatte sich, nachdem sie damals aus dem Krankenhaus entlassen worden war, auch vor aller Welt verkrochen und es nicht einmal ertragen, dass ihre Eltern sie besuchten. Weil sie sich vor ihnen geschämt hatte. Sie hatte nicht gewollt, dass sie sahen, was aus ihrer Tochter geworden war, obwohl es nicht Ryas Schuld gewesen war, wie ihr alle Welt versicherte; bis auf den Teil, der sie für eine freakige Mörderin hielt. Wäre sie obdachlos und würde zum Beispiel Jason auf der Straße begegnen, sie würde rennen, so schnell ihre Füße sie trugen, damit er sie nicht sah oder wenigstens nicht erkennen konnte. Sie hätte nicht ertragen, das Mitleid in seinen Augen zu sehen oder ihn durch die Begegnung der Peinlichkeit auszusetzen, sich genötigt zu fühlen, ihr zu helfen. Dass er ihr ihre Stellung bei Your Eyes fre i gehalten hatte, war hart am Rande dessen, was sie akzeptieren konnte.
Immerhin erklärte Ken Olmsteads Tod, warum er sich nicht wieder bei Sharon Kirk gemeldet hatte. Dass er sie bereits vor zehn Monaten kontaktiert hatte, sie aber erst Monate später nach Portland gereist war, um ihren Bruder zu suchen, bestätigte Ryas Vermutung, dass sein Verbleib sie im Grunde genommen nicht interessierte und sie mit der Suche nach ihm nur ihr Gewi s sen beruhigen wollte. Vielleicht wollte sie auch nur gegenüber irgendwem den Schein wahren.
„ Hat Ms. Kirk sich vielleicht mal bei Ihnen gemeldet? Martys Schwe s ter.“ Immerhin hatte sie Jason gegenüber Ken Olmsteads Namen genannt und war in Portland gewesen.
Mrs. Olmstead schüttelte den Kopf. „Jetzt, wo Sie es erwähnen, finde ich das auch seltsam. Aber ich war nach Kens Tod so sehr damit beschäftigt, seinen Verlust zu verkraften …“ Ihr kamen wieder die Tränen. „Ich bin i m mer noch nicht darüber
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