Gefaehrliche Spur
sich für Travis’ Wahrnehmung in den Vordergrund drängte. Er sah Orrin aus dem Haus kommen. Der Mann schwankte leicht in einer Weise, die vermuten ließ, dass er angetrunken war. Er fing sich aber schnell und ging zu der Holzbank unter dem Baum. Sein Gesichtsausdruck wirkte alles andere als glücklich. Im Gegenteil sah er elend und verzweifelt aus. Orrin setzte sich auf die Bank, lehnte sich zurück und genoss die Sonne.
Wenige Augenblicke später knickte der dicke Ast über ihm ab. Ein daraus hervorragendes, am Ende abgeschnittenes Stück eines schmaleren Astes bohrte sich in Orrins Herz und tötete den Mann. Das war jedoch nicht alles. Bevor der Ast aus heiterem Himmel abknickte, hatte sich um ihn eine hel l graue Wolke gebildet, die matt schimmerte wie angerautes Metall. Sie wand sich um die Stelle, an der der Ast abbrach , und lenkte den abgebrochenen Teil zielsicher so, dass das speerförmige Aststück Orrin durchbohrte. Der Ast war keineswegs zufällig abgebrochen. Travis war soeben Zeuge eines mit Magie begangenen Mordes geworden.
Sam hatte recht behalten, dass seine neue Fähigkeit der magischen Sicht auch in der Retrospektion funktionierte. Und wo ein Lottogewinner mithilfe von Magie ermordet wurde in einer Art, die wirkte, als handel t e es sich ledi g lich um einen tragischen Unfall, konnte man davon ausgehen, dass mit grö ß ter Wahrscheinlichkeit auch alle anderen toten Lottomillionäre durch Magie ermordet worden waren. Travis fühlte sich elektrisiert, dass er schon beim Betreten der Stadt den Beweis gefunden hatte, der den Verdacht des DOC bestätigte. Jetzt blieb nur noch zu klären, wer dahintersteckte.
Nur war jedoch leichter gesagt als getan. Da die Magie zwar von irgendwem gelenkt wurde, derjenige aber nicht zwangsläufig vor Ort sein musste, gab es keine Spur. Zumindest keine, die Travis hätte verfolgen können. Zwar hinte r ließ jede Anwendung von Magie eine magische Signatur, die ebenso individ u ell war wie ein Fingerabdruck, aber ihm fehlten die Möglichkeiten, sie zu erkennen und zu identifizieren. Dazu waren nur starke Begabte oder gebor e ne Dämonen in der Lage. Und die einzigen Personen, die das DOC in seinen Reihen hatte, auf die das zutraf – Bronwyn und Devlin sowie Gressyl – waren anderweitig im Einsatz und unabkömmlich. Ebenso Freelancerin Sam. Als Travis gegangen war, hatte er mitbekommen, dass irgendein gravierendes Problem aufgetaucht war, das ihr nicht nur gewaltige Sorgen bereitete, so n dern auch ihre volle Aufmerksamkeit erforderte. Sie war verschwunden, noch bevor er ihr Haus verlassen hatte.
Immerhin hatte er nun einen Anhaltspunkt, mit dem er und Wayne weite r arbeiten konnten. Er besah sich die Bruchfläche des Astes und erkannte, warum die Polizei vor Ort war. Zwar wirkte der Ast nicht angesägt, aber er war in einer Weise gebrochen, die zumindest ungewöhnlich wirkte und unte r sucht werden würde, um auszuschließen, dass jemand dem Ast geholfen hatte zu brechen.
Er fühlte einen Stoß. Orrins auf d i e Bank vor de m Baum genagelte Leiche verblasste, und die Schatten der Menschen und Polizeiwagen gewannen wi e der an Farbe und Substanz.
„ Hier gibt es nichts zu gaffen“, herrschte ein uniformierter Officer ihn an. „Verschwinde, Kerl. Sonst könnte ich versucht sein, mir mal deinen Ruc k sack anzusehen.“
Travis unterdrückte ein Lächeln. Die Spezialisten des DOC, die für seine Ausrüstung zuständig waren, hatten mit Hinblick auf das grassierende Voru r teil, dass alle Obdachlosen Diebe, Säufer, Drogensüchtige und überhaupt potenzielle Kriminelle sind, seinen Rucksack so gepackt, dass es darin nichts gab, was man mit selbst der bösartigsten Unterstellung als Diebesgut identif i zieren konnte. Er besaß zwar ein Prepaid-Handy, aber ein uraltes Modell, das heutzutage kaum noch jemand benutzte. Und das bisschen Bargeld hätte wohl niemand als Beute eines Raubzuges interpretiert. Der Rest seiner S a chen bestand bis auf das geschenkte Hemd aus gebrauchter Kleidung und einem innen sauberen, äußerlich aber auf Alt getrimmten Schlafsack.
Das Einzige, womit er sich ausweisen konnte, war ein alter, auf Thomas Fox ausgestellter Führerschein mit einer Adresse, die zu einem Mietshaus in Philadelphia gehörte, das im Besitz des DOC war. Der darin lebende Hau s verwalter, ein DOC-Agent im Ruhestand, erhielt entsprechende Informati o nen, nach denen er zum Beispiel bestätigen würde, dass ein Tom Fox im Haus gewohnt hatte, bis er vor soundsoviel
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