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Gefährliche Stille

Gefährliche Stille

Titel: Gefährliche Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Tunnel unterm Presidio bis zur Lighthouse Avenue, dann bergauf zur
Archer Street. Die Fenster von Austin DeCarlos Haus waren sanft erleuchtet; in
der Einfahrt standen ein Jaguar und ein BMW. Er war zu Hause, und er hatte
Besuch.
    Ich überlegte noch, ob es wohl klug
wäre, ihn unter diesen Umständen aufzusuchen, als die Haustür aufging und zwei
Paare heraustraten. Sie gingen zu den Autos und fuhren davon. Sekunden später
glitt das Garagentor in die Höhe, und ein silberner Lexus stieß rückwärts
heraus; als sich das Tor wieder senkte, ließ ich meinen Wagen an und hielt mich
bereit, dem Lexus zu folgen.
    Zur nächsten Querstraße, dann rechts in
die Lighthouse, durch den Tunnel und im Zickzack zur Franklin Street. Als der
Lexus an den Bordstein hinüberzog, blieb ich an einem Stoppschild stehen und
beobachtete, wie der Fahrer ausstieg: ein stattlicher Mann, dessen graues Haar
im Schein der Straßenlaterne genauso schimmerte, wie das von Joseph DeCarlo in
der Spätnachmittagssonne geschimmert hatte. Sein Sohn? Ziemlich sicher.
    Austin DeCarlo ging um den Wagen herum
und öffnete die Beifahrertür, um seine Begleiterin aussteigen zu lassen: eine
dünne Frau mit einer Kaskade von langem, dunklem Haar. Sie trug einen
lockerfließenden Tunika-Hosenanzug. Als sie Hand in Hand den Gehweg
entlanggingen, parkte ich und folgte ihnen zu Fuß.
    Einen halben Block weiter standen etwa
ein Dutzend Menschen Wein trinkend und redend vor einem Restaurant und
warteten, dass Tische frei würden. Die Düfte, die der leichte Wind herantrug,
erinnerten mich an meinen Lieblingsgriechen in San Francisco. Dieses Lokal hier
hieß Epsylon und war offensichtlich sehr beliebt. De Carlo und die Frau
zwängten sich durch die Menge und gingen hinein. Beim Näherkommen sah ich, wie
sie an einen Fenstertisch geführt wurden, wo bereits die beiden Paare von
vorhin saßen.
    Ich beobachtete sie durchs Fenster und
fühlte mich wie das arme Waisenkind in einem Stummfilmmelodram. Seit ich dieses Newsweek- Foto studiert hatte, war ich davon ausgegangen, dass Austin
DeCarlo und Saskia Hunter meine leiblichen Eltern waren, und die Reaktion des
alten DeCarlo hatte es mir mehr oder weniger bestätigt. Diesen Mann
anzusprechen konnte mein Leben auf eine Weise verändern, die mir vielleicht gar
nicht recht sein würde. Vielleicht reichte es ja zu wissen, was ich wusste; ich
brauchte keinen direkten Kontakt mit ihm aufzunehmen. Außerdem war das hier ein
öffentlicher Ort; er würde es gar nicht schätzen, wenn ich hier eine Szene
machte.
    Was juckt ‘s dich, ob er es schätzt
oder nicht? Dieser Mann hat dich noch vor deiner Geburt im Stich gelassen. Dich
jetzt taktvoll zurückhalten zu wollen ist nur ein Vorwand, in Wirklichkeit hast
du Angst.
    Ich zwängte mich durch die
Menschengruppe, öffnete die Restauranttür, scheuchte den Ober mit einer
Handbewegung beiseite und marschierte zu dem Fenstertisch. »Austin DeCarlo?«,
sagte ich zu dem grauhaarigen Mann. Er hatte gerade die Weinkarte studiert, und
da war ein ärgerliches Zucken um seinen Mund, als er aufsah. Er hatte die
resoluten Züge seines Vaters, aber bei ihm waren sie von jahrelangem Wohlleben
weich unterpolstert. Die Augen, die mich anfunkelten, waren vom gleichen
verschossenen Blau. »Ja?«, knurrte er.
    »Ich heiße Sharon McCone. Ich glaube,
Sie kannten meine Großtante Fenella.«
    Ihm fiel der Unterkiefer herunter, und
er starrte mich an. Ich starrte zurück, wusste nicht mehr, was ich sagen
sollte. Dann legte er die Weinkarte hin, strich sich mit einer flattrigen Hand
übers Kinn. Schüttelte den Kopf, wie um zurückzuweisen, was er dachte. Ich
brachte immer noch nichts heraus, vor Angst, was ich da in Gang gesetzt hatte.
Die beiden Paare am Tisch beugten sich besorgt zu DeCarlo hin. Seine
Begleiterin berührte ihn am Arm und fragte: »Austin. Liebling, was ist?«
    Ihre Stimme holte ihn ins Hier und
Jetzt zurück. Er guckte sich fast schon verstohlen nach den anderen Gästen um,
sah dann mich wieder an. »Mein Gott«, flüsterte er, »du bist das Ebenbild
deiner Mutter.«
     
    Obwohl ich mehr oder minder mit einer
solchen Reaktion gerechnet hatte, trafen mich DeCarlos Worte doch wie ein
Schock. Irgendetwas verhakte sich in meiner Brust, und einen Moment lang fühlte
es sich an, als sei mein Herz stehen geblieben; dann begann es wild zu hämmern.
Es überlief mich heiß und kalt, und alles schwankte — sein Gesicht, die Leute
an seinem Tisch, die Rauputzwände, der Fliesenboden. Ich griff

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