Gefährliche Stille
beschäftigt. »Ich habe sie ein Jahr später gefunden. Sie wohnte
in Moscow, Idaho, hatte vor, im Herbst dort aufs College zu gehen. Sie erklärte
mir, sie habe dich zur Adoption freigegeben. Sie habe Angst gehabt, wenn sie
dich behielte, würde mein Vater versuchen, dich ihr wegzunehmen.«
Ich sah den Gesichtsausdruck des alten
Mannes vor mir, als er sich am Nachmittag vor mir aufgebaut hatte. »Verdammt
unwahrscheinlich! Er wollte doch keine Mischlingsenkelin an seinem noblen
Familienstammbaum hängen haben. An einem anderen Baum vielleicht schon eher.«
»...So schlimm ist er nicht.«
»Da kann ich mich nur an dein Wort
halten. Und was war dann? Hast du einfach beschlossen, so zu tun, als gäbe es
mich nicht?«
»Ich wollte es nicht, aber Kia war
stinksauer auf mich und weigerte sich, mir irgendwas über die Adoption zu
sagen.«
Ich trank meinen Cognac aus, streckte
ihm das Glas zum Nachschenken hin — um mir Zeit zu verschaffen, mich zu
beruhigen. Vielleicht hatte er ja Recht; vielleicht war ich wirklich zu schnell
mit Urteilen bei der Hand. Immerhin war er offen zu mir gewesen, hatte seine
Fehler und Schwächen eingestanden. Als er mir das Glas wiedergab, fragte ich:
»Weißt du, was danach aus meiner Mutter wurde?«
»Sie ging aufs College und studierte
dann Jura an der Universität von Idaho. Heiratete einen Anwaltskollegen, Thomas
Blackhawk. Sie hatten zusammen eine Kanzlei in Boise, und seit seinem Tod vor
einigen Jahren setzt sie sich für indianische Belange ein.«
Saskia Blackhawk. Der Name kam mir
irgendwie bekannt vor. Vielleicht hatte ich irgendwo etwas über sie gelesen.
»Hat sie noch andere Kinder?«
»Einen Sohn und eine Tochter. Die sind
jetzt beide in den Zwanzigern.«
Ich verspürte einen schmerzhaften
Stich. Meine Mutter hatte mich weggegeben, aber dann andere Kinder gekriegt.
Ich hatte einen Halbbruder und eine Halbschwester, die vermutlich gar nicht
wussten, dass es mich gab. »Du weißt ja ziemlich viel über sie«, sagte ich.
»Warum hast du ihr Leben und ihre berufliche Karriere weiterverfolgt?«
»...Ich dachte, du würdest vielleicht
Nachforschungen anstellen und Kontakt mit ihr aufnehmen.«
»Du hättest doch selbst nach mir suchen
können. Es gibt so viele Mittel und Wege.«
»Ich weiß.« Er schüttelte resigniert
den Kopf. »Aber als es mir möglich wurde, waren schon so viele Jahre vergangen...«
So viele Jahre, und jetzt saß ich hier
mit einem Fremden. Einem Mann, der von sich sagte, er sei nicht leicht
kleinzukriegen, der aber in Wirklichkeit schwach war. Einem Schwächling, der
mein Vater war, aber nicht wie ein Vater wirkte. Plötzlich versiegte mein Zorn,
und ich fühlte mich nur noch leer. Ich musste jetzt allein sein.
Als ich sagte, ich müsse gehen,
protestierte DeCarlo. Er wolle mehr über mein Leben wissen. Ich solle mich doch
als sein Gast betrachten. Ich lehnte ab, erklärte, ich würde am Morgen anrufen.
Dann flüchtete ich in die unpersönliche Atmosphäre eines Motelzimmers.
Horchübung…
»Lebt sie noch?«
»Ja.«
»Wo?«
»In Boise, Idaho.«
»Hast du noch Kontakt zu ihr?«
»... Im Grunde nicht. Das ist
kompliziert.«
Das war ein bedeutsames Zögern. Man hat
entweder Kontakt zu jemandem, oder man hat keinen. Was ist daran kompliziert?
»Im Grunde nicht« heißt irgendwie
schon. Bedeutet das, er hat noch mit ihr zu tun gehabt, nachdem sie ihm das mit
der Adoption erzählt hatte? Vielleicht noch in jüngster Zeit?
Weswegen? Meinetwegen? Irgendwie glaube
ich das nicht.
»Warum hast du ihr Leben und ihre
berufliche Karriere weiterverfolgt?«
»... Ich dachte, du würdest
vielleicht Nachforschungen anstellen und Kontakt mit ihr aufnehmen.«
»Du hättest doch selbst nach mir suchen
können. Es gibt so viele Mittel und Wege.«
»Ich weiß. Aber als es mir möglich
wurde, waren schon so viele Jahre vergangen...«
Horch genau auf dieses Zögern. Er ist
nicht ehrlich, was sein Interesse an Saskias Leben anbelangt. Es ging nicht um
mich; im nächsten Atemzug gibt er quasi zu, dass er es aufgegeben hat, mich
finden zu wollen.
Aber warum ist er dann noch so gut über
Saskia informiert? Liebt er sie immer noch? Nein, er weiß ja nicht mal, ob er
sie je geliebt hat. Sie haben jetzt aus irgendeinem anderen Grund miteinander
zu tun. Und das ist kompliziert.
Dienstag,
12 . September
0 Uhr 31
»Shar, kannst du mich nicht wenigstens
mal eine Nacht ruhig schlafen lassen?«
»Nur eine Kleinigkeit, Mick. Eine
winzige
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