Gefährliche Stille
Bundesgerichtsprozess mitgewirkt, wo es um indianische
Treuhandgelder gegangen war und Innenminister Bruce Babbitt und Finanzminister
Robert Rubin angelastet worden war, dass ihre Ministerien schon seit den achtziger
fahren des neunzehnten Jahrhunderts aus den Reservaten stammende Revenuen
unsachgemäß verwaltet hatten. Und vor einer Woche erst hatte sie die Vertretung
einer Gruppe von Nez Perce übernommen, die von einem Privatcollege in Lewiston,
Idaho, gezwungen wurden, spezielle Genehmigungen einzuholen, um zu religiösen
Zwecken einen heiligen Berg in den Seven Devils Mountains zu betreten, wo die
Hochschule teure Teleskope aufgestellt hatte.
Als Robin gute zwei Dutzend Akten
referiert hatte, drangen schon flache Sonnenstrahlen durch Saskias Bürofenster,
und wir waren alle vier erschöpft und gleichzeitig aufgedreht vom vielen
Kaffee. Castner, der für das Mitschreiben zuständig war, erhob sich und ging,
sein Notizbuch konsultierend, auf und ab.
»Okay«, sagte er, »der Holzkonzern in
der Coeur-d’Alene-Sache ist eindeutig verdächtig. Aber ich glaube, die
Treuhandsache können wir streichen, die Bundesbeamten sind zwar teuflisch
hinterhältig, aber sie fahren doch normalerweise keine Menschen über den
Haufen, außer vielleicht in ›Akte X‹. Das Snake-River-College?«
Willson gähnte ungeniert. »Ich weiß
nicht. Diese Teleskope sind zwar teuer, aber ich kann mir doch nicht
vorstellen, dass sich ein Häuflein Akademiker deswegen so ereifert, dass sie
bis zum Mordversuch gehen. Wir stellen das mal hintenan, wir haben ja noch über
die Hälfte der Pro-bono-Fälle und diese Spirit-Lake-Geschichte. Haben Sie die
Namen und Telefonnummern?«
»Alles, was wir brauchen.«
»Also, gehen wir, damit die Damen hier
noch ein bisschen Schlaf kriegen.«
Sobald die Beamten draußen waren, rief
Robin im Krankenhaus an, um sich nach Saskias Zustand zu erkundigen.
Unverändert, beschied man sie. Ich drängte sie, wenigstens den Versuch zu
machen, ein bisschen zu schlafen, aber sie beschloss, hinzufahren und dort zu
warten, bis sie Dr. Bishop sprechen könnte; es würde ihr helfen, sagte sie, in
der Nähe ihrer Mutter zu sein. Ob ich bei Darcy bleiben könne? Ihn beruhigen,
falls er aufwache, bevor sie zurück sei? Natürlich, sagte ich, obwohl ich mit
ins Krankenhaus wollte.
Nachdem sie — da sich ihre Schlüssel
noch immer nicht gefunden hatten — mit meinem Mietwagen losgefahren war, ging
ich nach oben und sah nach ihrem — unserem — Bruder. Er lag auf dem Rücken und
schnarchte leise, ahnte nichts von dem, was um ihn herum passiert war. Im
Schlaf wirkte sein Gesicht jung und verletzlich, trotz des Metalls und der lila
Haare. Ich hoffte, dass er stark genug sein würde, um mit der Warterei
klarzukommen. Hoffte, dass andernfalls Robin in der Lage wäre, mit ihm
klarzukommen. Und dass, wenn alle Stricke rissen, ich stark genug sein würde,
mit beiden klarzukommen.
16 Uhr 53
»Sharon, wach auf.«
»Was?« Ich tauchte langsam auf. Das
Zimmer war mir fremd, ich lag unter einer blauen Decke, aber nicht im Bett...
Oh, klar, Darcys Zimmer. Ich hatte mich
in den Fernsehsessel gesetzt und musste eingeschlafen sein. Robin hatte mich
wohl gefunden und zugedeckt, und jetzt wollte sie, dass ich aufwachte.
»Wie spät ist es?«
»Fast siebzehn Uhr.« Meine Augen
fokussierten ihr Gesicht; es war abgespannt, mit tiefen Schatten.
Ich richtete mich mühsam auf. Das Bett
war zerwühlt, Darcy weg. »Saskia — ist sie...«
»Unverändert. Aber da ist Besuch für
dich. Ein Mann. Er sagt, er sei dein Vater.«
Austin DeCarlo, hier in Boise? In
Saskias Haus?
Ich wurstelte mich aus der Decke und
stand auf, wobei mir kurz schwindlig wurde. Meine Haut fühlte sich gespannt und
nervös an — zu wenig Schlaf, zu viel Kaffee, nichts gegessen.
Robin fragte: »Ist er dein Adoptivvater
oder...?«
»Mein leiblicher Vater.« Ich ging zum angrenzenden
Bad. »Dann ist er...«
»Augenblick.«
Ich sperrte ihre Frage aus, ging aufs
Klo, wusch mir notdürftig das Gesicht. Im Spiegel hatte meine Haut ein
ungesundes Grau, und mein Haar musste dringend gewaschen werden. Ich kämmte es
mit den Fingern durch, sagte »Was soll’s?« und ging wieder zu Robin hinein.
»Der Mann unten«, sagte sie, »hatte mal was mit meiner Mutter?«
»Ja. Ich habe ihn vor ein paar Tagen
aufgespürt, und er hat mir gesagt, wo sie wohnt.«
»Woher wusste er das? Ich habe ihn noch
nie gesehen.«
»Komm mit nach unten, dann mache
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