Gefaehrliche Tiefen
beendet. Sie hatte ihren Auftrag erfüllt. Schwer zu glauben, dass sie erst vor einer Viertelstunde fast ertrunken wäre. Nach einer solchen Erfahrung wären ein paar tiefsinnige Gedanken angebracht, oder? Stattdessen war ihr Kopf wie leergefegt. Sie legte die Hand auf das Kissen.
Vielleicht wurde sie wegen der abrupten Verringerung der Geschwindigkeit wach, als sie sich der
Papagayo
näherten, vielleicht lag es auch an J . J.s Gemurmel. »Ach, du ScheiÃe. Nicht ausgerechnet jetzt.«
Sam hielt die Augen noch eine Weile geschlossen. Was konnte jetzt noch passieren? Das Wahrscheinlichkeitsgesetz stand auf ihrer Seite. Weil sie sich so lange gegen Kissen gelehnt hatte, war ihr Nacken mittlerweile stocksteif und schmerzte dementsprechend. Konnte sie den Kopf noch aufrecht halten? Vielleicht sollte sie sich tot stellen und die Mannschaft sie vom Boot in ihre Koje tragen lassen.
J . J. stupste sie mit dem Ellbogen an, damit Sam sich aufsetzte. Die Wirbel zwischen ihren Schultern schnalzten nur so, als sie den Kopf hob.
Die Sonne war soeben untergegangen. Die schmale orangefarbene Trennlinie zwischen dem tiefblauen Ozean und dem nächtlichen Himmel würde sich bald auflösen. Die Inseln im Hintergrund kamen ihr unbekannt vor. Die
Papagayo
war zu ihrem nächsten Punkt auf der Reise gefahren, damit die Touristengruppe am letzten Urlaubstag noch James (Santiago) Island unsicher machen konnte. Morgen sollte das Schiff die Passagiere am Flughafen von Baltra für den Heimflug abliefern.
Wieder hatte das Boot der Marine seitlich an der
Papagayo
festgemacht. Erwartungsvoll standen zwei Beamte am Bug. Ganz kurz hoffte Sam, sie seien nur gekommen, um ihr den Pass zurückzugeben. Doch dann erkannte sie Officer Schwartz und Officer Aguirre, auÃerdem Montero, die Polizistin mit dem Pferdeschwanz. Sie war auf dem Hauptdeck der
Papagayo
unterwegs und beobachtete die Ankunft des Rennboots.
Oberhalb der
fiscalia
-Beamten standen auf dem obersten Deck neben den Mitgliedern der Reisegruppe auch Jon und Paige Sanders. Alle warteten eindeutig, dass die groÃe Show begann. Die bloÃe Rückgabe ihres Passes würde kaum eine derartige Attraktion darstellen.
Das Rennboot glitt an die freie Seite der
Papagayo
. Sam stand auf und wollte an Bord gehen. Da kam Sergeant Schwartz die Treppe herunter, zog die Pistole aus dem Holster und zielte auf sie.
23
Jetzt wusste Sam, wie es war, als Tatverdächtige öffentlich zur Schau gestellt zu werden. Nur dass man sie nicht vom Gefängnis ins Gericht brachte, sondern mit Müh und Not von einem schwankenden Boot zum anderen weiterreichte. Bedeutete die Anwesenheit einer Polizistin, dass ihr eine Leibesvisitation oder etwas ähnlich Grauenhaftes bevorstand?
J . J. beugte sich zu ihr. »Damit kommen sie nicht durch.«
Sam war sich da nicht so sicher. Im Moment protestierte jedenfalls niemand gegen die Behandlung. Guerrero und Ayala hielten sich am anderen Ende ihres Boots auf, während Sam über die ausgezeichnete Makrele und auf die Plattform am Achterdeck der
Papagayo
stieg. Dass die Pistolenläufe der beiden
fiscalia
-Beamten jeder ihrer Bewegungen folgten, konnte sie keine Sekunde lang vergessen. Officer Montero trat auf die Plattform und packte Sam am Arm. »Sie sind verhaftet«, sagte sie auf Englisch.
Wer hätte das gedacht
, dachte Sam. Laut sagte sie: »Und weswegen, wenn man fragen darf?«
Monteros Gesicht verriet Ãberraschung. »Wegen Mord an Daniel Kazaki.«
Sam hielt den Atem an und wartete, dass man ihr ihre Rechte vorlas. Vergebens.
Ach, du ScheiÃe!
Sie war ja weit weg von zu Hause. Und sie steckte bis zum Hals in Schwierigkeiten. »Wie bitte?«, quiekte sie.
»Dr. Kazaki wurde die Kehle aufgeschlitzt.« Montero machte eine entsprechende Bewegung von der Wange bis zum Hals. »Wo er gestorben ist, haben wir Ihr Tauchermesser mit Ihren Fingerabdrücken und Ihren Ohrring gefunden.«
»Nein«, rief Sam. »Das ist unmöglich.« Als sie auf Dans Leiche gestoÃen war, hatte sie ihr Messer gar nicht dabeigehabt.
Gab es in Ecuador auch Anspruch auf einen Rechtsanwalt? Wie sollte sie hier einen finden? Würde man ihr wenigstens einen Telefonanruf zubilligen? Verfluchter Mist, wieso war Chase ausgerechnet dann von der AuÃenwelt abgeschnitten, wenn sie ihn am dringendsten benötigte?
Eduardo zwängte sich an J . J. vorbei auf die Plattform und beugte sich dicht an Sams Ohr.
Weitere Kostenlose Bücher