Gefährliche Trauer
durchging, der versuchte, sich durch Kleidung und Benehmen aus seinem Stand hinauszukatapultieren. Hatte er selbst auch so angefangen - als Mitbewohner unter einem fremden Dach, der die Hauseigentümer nachäffte, um emporzukommen? Abgesehen davon forderte es die Neugier geradezu heraus, sich zu fragen, woher Percival das Geld für derlei Dinge hatte. Sie kosteten bedeutend mehr, als er sich mit seinem Lohn als Lakai leisten konnte, selbst nach jahrelangem mühseligen Sparen.
»Sir!«
Er fuhr hoch und starrte Evan an, der mit kreidebleichem Gesicht vor der Kommode stand, zu seinen Füßen eine Schublade samt Inhalt, in der Hand ein langes Gewand aus elfenbeinfarbener Seide. Es war mit braunen Flecken übersät, zwischen den Falten ragte eine häßlich lange Klinge vor, die fast gänzlich unter einer rostroten Schicht aus eingetrocknetem Blut verschwunden war.
Monk fühlte sich wie betäubt. Er hatte sich auf eine Glanzleistung in vergebener Liebesmüh eingestellt, eine Zurschaustellung, daß er tat, was er konnte, und jetzt hielt Evan plötzlich etwas hoch, bei dem es sich zweifellos um die Tatwaffe handelte, eingewickelt in das Neglige einer Frau - versteckt in Percivals Zimmer. Der Fund verblüffte ihn so sehr, daß er Schwierigkeiten hatte, das ganze Ausmaß zu begreifen.
»Soviel zu Myles Kellard«, bemerkte Evan. Er schluckte krampfhaft, legte das Messer und das seidene Kleidungsstück vorsichtig auf das Fußende des Bettes und zog dann schnell die Hand zurück, als wolle er nichts mehr damit zu tun haben.
Nachdem Monk Percivals Kleinode wieder in den Schrank gelegt hatte, richtete er sich kerzengerade auf, die Hände in den Taschen vergraben.
»Ich begreife nicht, warum er die Sachen ausgerechnet hier aufbewahrt hat«, sagte er langsam. »Erdrückenderes Beweismaterial gibt es kaum!«
Evan runzelte die Stirn. »Tja, ich nehme an, er wollte das Messer nicht in ihrem Zimmer lassen, und offen vor sich her tragen konnte er es auch nicht - mit dem ganzen Blut dran. Immerhin hätte ihm jemand begegnen können.«
»Wer, um Gottes willen?«
Evan wirkte gequält. Er verzog den Mund zu einer angeekelten Grimasse, wie sie durch kein körperliches Unbehagen zu rechtfertigen war.
»Was weiß ich! Irgend jemand, der sonst noch mitten in der Nacht auf der Galerie unterwegs war.«
»Und wie hätte er seine Anwesenheit dort erklären sollen - mit oder ohne Messer?« wollte Monk wissen.
»Keine Ahnung.« Evan schüttelte ratlos den Kopf. »Was tut ein Lakai normalerweise? Vielleicht hätte er gesagt, er hätte ein Geräusch gehört, einen Einbrecher, die Haustür - ich hab nicht den leisesten Schimmer. Aber er wäre auf jeden Fall besser dran gewesen, wenn er kein Messer dabeihatte, vor allem kein blutbesudeltes.«
»Und noch besser, wenn er es in ihrem Zimmer gelassen hätte«, beharrte Monk.
»Vielleicht hat er es mitgenommen, ohne nachzudenken.« Evan schaute auf und begegnete Monks Blick. »Hatte es einfach in der Hand und ließ es nicht mehr los? Geriet in Panik? Traute sich nicht mehr zurück, nachdem er den Flur schon halb durchquert hatte?«
»Und das Neglige? Wie's aussieht, hat er das Messer darin eingewickelt, um es besser transportieren zu können. Das entspricht nicht der Art von Panik, die Ihnen vorschwebt. Aus welchem Grund wollte er das Messer unbedingt haben? Das ergibt keinen Sinn.«
»Für uns nicht, nein«, stimmte Evan zögernd zu, den Blick wieder auf die zerknitterte Seide gerichtet. »Für ihn schon - da liegt's ja.«
»Und er hatte in der ganzen Zeit keine Gelegenheit, es loszuwerden?« Monk verdrehte die Augen. »Er kann's doch unmöglich vergessen haben!«
»Welche Erklärung sollte es sonst geben? Das Messer ist da.«
»Ja - aber war Percival auch derjenige, der es dort versteckt hat? Und warum haben wir es nicht gefunden, als wir den Schmuck gesucht haben?«
Evan wurde rot. »Na ja, ich hab damals nicht jede einzelne Schublade rausgezogen und dahintergeguckt. Der Konstabler vermutlich auch nicht. Ehrlich gesagt war ich mir ziemlich sicher, daß wir nichts finden würden - und die silberne Vase hätte nicht reingepaßt.« Er schaute betreten drein.
Monk schnitt ein Gesicht. »Selbst wenn Sie nachgesehen hätten, wäre es nicht dagewesen - glaube ich zumindest. Ich weiß auch nicht, Evan, das kommt mir alles so… so hanebüchen vor. Percival mag ja arrogant und kalt sein und für andere Menschen nichts als Verachtung übrig haben, aber er ist bestimmt nicht dumm! Weshalb sollte er
Weitere Kostenlose Bücher