Gefährliche Trauer
diesen belastenden Gegenstand in seinem Zimmer aufbewahren?«
»Aus Überheblichkeit vielleicht?« schlug Evan zaghaft vor.
»Weil er uns nicht für fähig genug hält, um Angst vor uns haben zu müssen? Bis jetzt hatte er damit recht.«
»Nein, er hatte Angst.« Monk dachte an Percivals bleiches, in Schweiß gebadetes Gesicht. »Als ich mit ihm im Zimmer der Haushälterin war, konnte ich seine Angst förmlich riechen! Er hat alles mögliche versucht, seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen, hat jedem den schwarzen Peter zugespielt, der ihm einfiel: der Wäschemagd, Myles Kellard - sogar Araminta.«
»Ich weiß auch nicht.« Evan schüttelte unglücklich den Kopf.
»Aber Mrs. Boden wird uns sagen können, ob das ihr Messer ist, und Mrs. Kellard, ob diese… dieses - wie haben Sie das Ding genannt?«
»Neglige«, erwiderte Monk. »Ein anderes Wort für Morgenmantel.«
»Neglige, richtig - ob das Neglige ihrer Schwester gehört.«
»Das ist wahr.« Monk nahm das Messer, verbarg es unter dem Seidenstoff und trug es aus dem Raum. Evan folgte ihm schweigend.
»Werden Sie ihn festnehmen?« fragte er schließlich, während er einen Schritt hinter Monk die Treppe hinabstieg.
Monk zögerte einen Moment. »Mir ist nicht ganz wohl bei dem Gedanken«, sagte er geistesabwesend. »Jeder hätte die Sachen in sein Zimmer bringen können - und nur ein kompletter Idiot würde sie dort aufheben.«
»Sie waren ziemlich gut versteckt.«
»Ja, aber wozu? Warum hat er sie nicht beseitigt? Um so etwas Dämliches zu tun, ist Percival viel zu gerissen.«
»Was schlagen Sie also vor?« Evan war weniger streitlustig als durcheinander und verstört, zutiefst verunsichert durch eine Reihe häßlicher Entdeckungen, in denen er keinen Sinn sehen konnte. »Die Wäschemagd? Ist sie wirklich eifersüchtig genug, um Octavia zu ermorden und die Tatwaffe samt dem Seidenmantel in Percivals Zimmer zu verstecken?«
Sie hatten die Galerie erreicht. Maggie und Annie starrten ihnen mit aufgerissenen Augen entgegen.
»Prima, Mädels, das habt ihr gut gemacht. Vielen Dank«, sagte Monk mit gezwungenem Lächeln. »Ihr könnt wieder an eure Arbeit gehen.«
»Sie haben was gefunden!« Annie, kreidebleich, stierte mit verängstigtem Blick auf die Seide in seiner Hand. Maggie drängte sich mit erschrockener Miene dicht an sie.
Lügen war sinnlos. Sie würden es ohnehin bald erfahren.
»Ja«, bestätigte Monk. »Das Messer. Und jetzt geht wieder an die Arbeit, oder Mrs. Willis wird euch Beine machen.«
Der Name der Haushälterin schaffte es auch diesmal, den Bann zu brechen. Sie stürmten davon, um Teppichklopfer und Bürsten zu holen.
Basil hatte sich im Arbeitszimmer hinter seinem Schreibtisch verschanzt und wartete ungeduldig auf Neuigkeiten. Kaum daß sie geklopft hatten, rief er sie herein.
»Und?« Sein Blick war verärgert, seine Stirn unheilvoll zusammengezogen.
Monk machte die Tür sorgfältig hinter sich zu.
»Wir haben ein Messer und ein seidenes Kleidungsstück gefunden, bei dem es sich meiner Meinung nach um ein Neglige handelt, Sir. Beides ist blutbefleckt.«
Basil atmete langsam aus. Bis auf einen schwachen Schatten endgültiger Gewißheit verriet sein Gesichtsausdruck keinerlei Gemütsregung.
»Ich verstehe. Und wo haben Sie diese Dinge gefunden?«
»Hinter einer Schublade in Percivals Kommode«, erwiderte Monk, während er seine Reaktion scharf beobachtete.
Falls Basil überrascht war, ließ er es sich durch nichts anmerken. Das kräftige Gesicht mit der kurzen, breiten Nase und dem von tiefen Falten eingerahmten Mund blieb beherrscht und ruhig. Vielleicht konnte man nichts anderes von ihm erwarten. Er und seiner Familie hatten wochenlang unter den Verdächtigungen gelitten. Daß die Tortur nun vorbei und seine nächsten Verwandten von der furchtbaren Last befreit sein sollten, mußte eine unglaubliche Erleichterung darstellen. Man konnte ihm nicht verübeln, wenn dieses Gefühl an erster Stelle stand. Wie monströs die Vorstellung auch gewesen sein mochte, er mußte sich gefragt haben, ob sein Schwiegersohn die Hände im Spiel hatte, und Monk war schon öfter aufgefallen, daß die Bindung zwischen ihm und Araminta enger war als die meisten Vater-Kind-Beziehungen. Sie war die einzige, die ihm an innerer Stärke, Führungstalent, Entschlossenheit, Selbstachtung und beinah perfekter Selbstkontrolle das Wasser reichen konnte - auch wenn das ein vielleicht unfaires Urteil war, da Monk Octavia nie persönlich kennengelernt hatte.
Weitere Kostenlose Bücher