Gefährliche Trauer
verwerflichen Szenen mit Mrs. Haslett miterlebt, sonst hätten Sie Sir Basil wie jede anständige Frau - umgehend darüber in Kenntnis gesetzt, damit er seine Tochter beschützen kann.«
»Nun ja - ich - ich…« Fenellas letzter Versuch einer Selbstverteidigung endete in kläglichem Schweigen. Mit aschfahlem Gesicht stand sie da, während Rathbone auf seinen Platz zurückkehrte. Es bestand kein Grund, sie noch mehr zu demütigen und eine Erklärung dafür zu verlangen, warum sie so eitel war, so dumm, warum sie auf so boshafte, hinterhältige Weise die kleinen Geheimnisse der Gesindestube an die große Glocke gehängt hatte. Im Gerichtssaal herrschte plötzlich unangenehm betretene Stimmung, doch an dem gegen Percival vorliegenden Beweismaterial hatte sich der erste Zweifel geregt.
Am dritten Verhandlungstag war der ohnehin volle Raum noch überlaufener. Araminta trat in den Zeugenstand. Im Gegensatz zu Fenella war sie keine eitle Frau, die sich gern zur Schau stellte. Sie war unauffällig gekleidet und wie immer absolut beherrscht. Sie hätte Percival nie besonders gemocht, meinte sie, sich aber nicht in die Personalwahl ihres Vaters eingemischt, da es sein Haus war. Bislang wäre sie davon ausgegangen, daß ihr Eindruck von ihrer persönlichen Abneigung beeinflußt wäre, was sie nun natürlich besser wisse und von ganzem Herzen bedaure, nicht gesagt zu haben.
Auf O'Hares Drängen hin verriet sie schließlich - allem Anschein nach unter erheblicher Kraftaufbietung -, daß ihre Schwester ihre Abneigung gegen den Lakai nicht geteilt hatte und unklugerweise dem Personal gegenüber generell zu nachsichtig aufgetreten war. Das, mußte sie zu ihrem Leidwesen zugeben, lag vermutlich daran, daß ihre Schwester seit dem Tod ihres Mannes auf der Krim des öfteren mehr Gläser Wein konsumiert hatte, als ihr bekam. Der Alkohol hatte ihre Urteilskraft getrübt und sie zu umgänglich werden lassen, wovon, wie man jetzt sah, jedem dringend abzuraten war.
Rathbone fragte sie, ob Octavia ihr gegenüber je von Angst gesprochen hätte, vor Percival oder sonst wem, was sie entschlossen verneinte. In dem Fall hätte sie natürlich alles unternommen, ihre Schwester zu beschützen.
Dann wollte Rathbone wissen, ob sie sich nahegestanden hätten. Araminta bedauerte aus ganzem Herzen die Wandlung, die ihre Schwester nach dem Tod ihres Mannes Harry durchgemacht hatte, und meinte, ihr Verhältnis wäre nachher nie mehr so herzlich gewesen wie davor. Rathbone entdeckte keinerlei Unstimmigkeiten an ihrer Darstellung, nichts, wo er hätte nachhaken können.
Myles Kellard hatte den bisher bekannten Fakten nur wenig hinzuzufügen, aber er bestätigte Octavias Veränderung durch die Witwenschaft. Sie hätte, räumte auch er nur sehr ungern ein, ein etwas unglückliches Verhalten an den Tag gelegt, häufig unter Gefühlsausbrüchen gelitten und als Resultat ihres übergroßen Weinkonsums die Dinge nicht mehr gesehen, wie sie waren. Es müßte zweifellos einer dieser benebelten Momente gewesen sein, als sie Percivals Annäherungsversuche nicht adäquat abgewehrt hatte. Später dann, in nüchternem Zustand, wäre ihr bestimmt bewußt geworden, was sie getan hatte, aber sie schämte sich vermutlich, jemand um Hilfe zu bitten, und nahm statt dessen ein Tranchiermesser mit ins Bett. Das alles wäre furchtbar tragisch, und die ganze Familie hätte entsetzlich zu leiden.
Rathbone konnte seine Aussage nicht erschüttern, und er war sich der Sympathie im Saal zu deutlich bewußt, um es zu versuchen.
O'Hares letzter Zeuge war Sir Basil. Er brachte den Weg zum Zeugenstand mit unbeschreiblicher Feierlichkeit hinter sich. Aus der Menge erhob sich ein mitfühlendes, respektvolles Raunen. Selbst die Geschworenen setzten sich aufrechter hin, einer von ihnen lehnte sich zum Zeichen seiner besonderen Ehrerbietung sogar ein wenig zurück.
Basil äußerte sich ohne jede Zurückhaltung über seine tote Tochter. Er erzählte, wie sehr sie der Verlust ihres Mannes getroffen, ja aus der Bahn geworfen hatte und letztlich dafür verantwortlich gewesen war, daß sie Trost im Alkohol suchte. Er fand es zutiefst beschämend, dies eingestehen zu müssen - und wurde auf der Stelle mit einem verständnisvollen Murmeln belohnt. Viele der Zuschauer hatten selbst jemand in Balaklawa, in Inkermann, an der Alma, durch Hunger und Kälte in den Hügeln vor Sewastopol oder durch Seuchen in dem furchterregenden Krankenhaus von Skutari verloren. Sie wußten, daß persönliches
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