Gefährliche Trauer
Ich denke, wir sollten das Thema als erledigt betrachten und versuchen, so normal wie möglich weiterzuleben. Sie werden kein Wort mehr darüber verlieren, Miss Latterly. Nehmen Sie bitte die Konfitüre, oder was immer Sie hier zu suchen hatten, und bringen Sie Lady Moidore ihr Frühstück.«
»Gern, Sir Basil«, sagte Hester gehorsam, aber ihre Gesichter mit einer dunklen Patina von Elend und Endgültigkeit überzogen - brannten sich in ihr Gedächtnis ein.
11
Zwei Tage nach Percivals gewaltsamem Tod bekam Septimus plötzlich leichtes Fieber. Es war nicht so schlimm, daß man mit einer ernsten Erkrankung rechnen mußte, für ihn allerdings schlimm genug, um auf seinem Zimmer zu bleiben. Beatrice, die sich eher deshalb noch nicht von Hester getrennt hatte, weil sie ihre Gesellschaft genoß, als weil sie wirklich Gebrauch von ihren beruflichen Fähigkeiten gemacht hätte, schickte sie sofort zu ihm. Hester sollte ihm jede Medizin geben, die sie für angebracht hielt, und auch sonst alles tun, seine Beschwerden zu lindern.
Septimus lag im Bett. Jenseits der weit zurückgezogenen Vorhänge seines geräumigen, luftigen Zimmers brach ein scheußlicher Februartag an. Graupelkörner trommelten gegen die Scheiben wie die Munition einer Kartätsche, der Himmel war so drückend und bleiern, daß er direkt über den Häuserdächern zu beginnen schien. Der Raum war mit Armeedenkwürdigkeiten übersät: überall Kupferstiche von Soldaten in properer Uniform, Kavalleristen hoch zu Roß und an einem herausgehobenen Ehrenplatz an der Westwand ein wunderbares Gemälde vom Angriff der Royal Scots Greys in Waterloo. Die Pferde flogen mit geblähten Nüstern und wehender Mähne über die von ihren Hufen aufgewirbelten Staubwolken hinweg, während im Hintergrund die Schlacht tobte. Hester spürte, wie ihr Herz einen Satz machte, wie ihr Magen sich jäh zusammenzog. Die Szenerie war so echt, daß sie glaubte, das Schießpulver zu riechen, das Donnern der Pferdehufe, das Geschrei, das Klirren von Stahl zu hören, die Sonne sengend auf der Haut zu spüren und zu wissen, daß ihr der warme Geruch von Blut in Hals und Nase steigen würde, sobald sich wieder Schweigen über das Gras gesenkt hatte. Sie sah die Toten vor sich, die darauf warteten, begraben oder von Aasvögeln verspeist zu werden, dachte an die unendliche Arbeit, an die Hilflosigkeit und die spärlichen Momente eines Hochgefühls, wenn jemand seine verheerenden Verletzungen überstanden oder eine Seuche überlebt hatte. Das alles stand ihr plötzlich so lebhaft vor Augen, daß sie von der Macht der Erinnerung beinah erdrückt wurde.
Sie riß sich von dem Anblick los, merkte, daß Septimus' wäßrigblaue Augen forschend auf ihr ruhten, und wußte im selben Moment, daß sie und er mehr voneinander verstanden als jeder andere in diesem Haus. Er betrachtete sie mit einem schwachen Lächeln und einem freundlichen, fast glücklichen Blick.
Hester wartete kurz, weil sie den Zauber des Augenblicks nicht brechen wollte, und ging dann, als er von selbst verflogen war, zu seinem Bett. Sie beugte sich über ihn, um mit der üblichen Untersuchungsprozedur zu beginnen: Fragen stellen, erst die Stirn, anschließend den Puls fühlen, den Bauch abtasten, aufmerksam seinen relativ flachen Atemzügen lauschen und nach verräterischen Geräuschen in der Brust horchen.
Seine Haut war gerötet, trocken und ein wenig rauh, seine Augen glänzten unnatürlich, doch außer einer starken Erkältung schien ihm nichts zu fehlen. Ein paar Tage Aufmerksamkeit und Pflege halfen ihm wahrscheinlich mehr als jede Medizin, und Hester war froh, ihm beides geben zu können. Daß er von seiner Familie vernachlässigt und mit Geringschätzung behandelt wurde, war ihr kein Geheimnis, außerdem mochte sie ihn.
Er sah sie mit einem eigenartigen Gesichtsausdruck an. Hester dachte plötzlich, wenn sie ihm jetzt sagen würde, er hätte eine Lungenentzündung oder Schwindsucht, wäre er nicht im mindesten verängstigt, nicht einmal ernsthaft besorgt. Er hatte den Tod bereits vor langer Zeit als unumstößlichen Begleitumstand des menschlichen Lebens akzeptiert, war ihm schon oft genug begegnet, sowohl nach Gewalteinwirkung als auch infolge einer Krankheit. Zudem hatte er keinen triftigen Grund, sein Dasein unnötig in die Länge zu ziehen. Er war nichts als ein Durchreisender, ein Gast in seines Schwagers Haus, geduldet, aber nicht erwünscht.
Dabei war er geboren und geschult, zu kämpfen und zu beschützen, das
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