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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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längst gegangen und die Zellentür wieder verriegelt, aber auf der tränenüberströmten, blutleeren Haut lag ein winzigkleiner Schimmer von Dankbarkeit.
    An dem Morgen, als Percival hingerichtet wurde, untersuchte Monk den angeblichen Diebstahl eines Gemäldes, das wahrscheinlich von einem Familienmitglied beiseite geschafft und verkauft worden war, um Spielschulden zu bezahlen. Um acht Uhr blieb er wie angewurzelt inmitten einer lärmenden Menge aus Obstverkäufern, Straßenhändlern, Laufburschen, einem Schornsteinfeger mit rußgeschwärztem Gesicht und einer Leiter über der Schulter und zwei Frauen, die sich lautstark wegen irgendeines Stoffetzens stritten, auf einem Bürgersteig in Cheapside stehen; durch die Straße pfiff ein eisiger Wind. Das Gebrabbel und Geklapper um ihn herum schwoll an und ab, unberührt von dem, was in Newgate geschah, doch er stand reglos da, überwältigt von einem Gefühl der Endgültigkeit. Der schmerzliche Verlust, den er empfand, galt nicht Percival persönlich, obwohl Monk sein Entsetzen und seinen ohnmächtigen Zorn in dem Augenblick, in dem er sein Leben aushauchen mußte, fast am eigenen Leib spüren konnte. Fast noch furchtbarer war, daß die Justiz versagt hatte. In dem Moment, wo sich die Falltür auftat und die Schlinge sich zusammenzog, wurde ein zweites Verbrechen begangen. Ganz London, ganz England waren herabgewürdigt, weil eine Gesetzgebung, die Schutz bieten sollte, statt dessen gemordet hatte.
    Hester stand im Speisezimmer. Sie hatte sich mit voller Absicht diesen Zeitpunkt ausgesucht, um ein wenig Aprikosenkonfitüre für Beatrices Frühstückstablett vom Tisch zu holen. Es war ihr egal, ob sie ihre Stellung riskierte, ob sie hinausgeworfen wurde; sie wollte die Gesichter der Moidores im Augenblick der Hinrichtung sehen, wollte sicher sein, daß jeder von ihnen genau wußte, was in diesem Moment geschah.
    Sie schob sich mit einer Entschuldigung an Fenella vorbei, die ungewöhnlich früh auf den Beinen war; offenbar hatte sie vor, einen Ritt durch den Park zu machen. Hester löffelte etwas von der Konfitüre in ein kleines Schälchen.
    »Guten Morgen, Miss Sandeman«, sagte sie mit fester Stimme. »Ich hoffe, der Ausritt wird angenehm. So früh am Morgen ist es bestimmt sehr kalt im Park, obwohl die Sonne bereits aufgegangen ist. Der Rauhreif wird noch nicht geschmolzen sein - es ist erst drei Minuten vor acht.«
    »Wie genau Sie sind«, stellte Fenella mit sarkastischem Unterton fest. »Kommt das daher, daß Sie als Krankenschwester alles in strikter Reihenfolge tun müssen, pünktlich auf die Sekunde? Schluckt eure Medizin, wenn die Glocke ertönt, ansonsten ergeht es euch schlecht? Du meine Güte, was für ein schauderhaft ödes Leben.« Sie gab einen spöttischen, klirrenden Laut von sich, bei dem es sich um ein leises Lachen handelte.
    »Nein, Mrs. Sandeman«, erwiderte Hester laut und deutlich.
    »Es kommt daher, daß Percival in zwei Minuten hingerichtet wird. In Newgate ist man, glaube ich, sehr genau - warum, weiß ich auch nicht. Sekunden dürften dort kaum eine Rolle spielen; vermutlich ist es ein altes Ritual.«
    Fenella blieben die gebratenen Eier im Halse stecken. Sie bekam einen fürchterlichen Hustenanfall, aber niemand eilte ihr zu Hilfe.
    »Großer Gott!« Septimus stierte mit leerem Blick vor sich auf den Tisch. Was er dachte, war nicht zu erkennen.
    Cyprian schloß die Augen, als würde er sich von der Außenwelt abschotten und seine gesammelten Energien auf den Tumult in seinem Innern richten.
    Araminta war weiß wie ein Handtuch, ihr seltsames Gesicht völlig versteinert.
    Myles Kellard verschüttete seinen Tee, den er gerade zum Mund hatte führen wollen. Die Spritzer verteilten sich über das ganze Tischtuch, direkt vor ihm prangte ein häßlicher, sich ausbreitender brauner Fleck. Er sah wütend und verstört in die Runde.
    »Also wirklich!« explodierte Romola mit rosafarbenem Gesicht.
    »Was für eine geschmacklose und unsensible Bemerkung! Was ist nur in Sie gefahren, Miss Latterly? Keiner von uns wünscht etwas darüber zu hören. Sie gehen jetzt besser - und seien Sie um Himmels willen nicht so gefühllos, es Schwiegermama gegenüber zu erwähnen. Nein, was sind Sie für eine dumme Person!«
    Basil war kreidebleich. Die Muskeln über seinen Schläfen wurden von einem nervösen Zucken gepeinigt.
    »Es gab keinen anderen Weg«, sagte er betont ruhig. »Die Gesellschaft muß vor dem Verfall bewahrt werden, und das ist manchmal sehr hart.

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