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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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und Verzweiflung, Triumph und Erschöpfung. Sie hatte fast das Gefühl, ihn gut gekannt zu haben, inklusive seiner Träume und Hoffnungen. Octavia kam ihr plötzlich viel wirklicher vor als Araminta bei Tee und gepflegter Unterhaltung im Salon oder Beatrice in ihrem Schlafzimmer, verängstigt und grüblerisch, ganz zu schweigen von Romola mit ihrer Brut - emsig dabei, die neue Gouvernante im Schulzimmer zu beaufsichtigen.
    »Armer Teufel!« sagte Septimus mehr zu sich selbst. »Er war ein erstklassiger Offizier, ist mit einem Wahnsinnstempo aufgestiegen - alles nur, um bei Balaklawa zu fallen. Octavia hat sich nie wieder davon erholt, das arme Kind. Ihre ganze Welt brach zusammen, als die Nachricht von seinem Tod eintraf! Sie hatte keinen Funken Leben mehr in sich. Es war, als ob es für sie nichts mehr zu hoffen gab.« Er fiel in tiefes Schweigen, völlig gefangengenommen von der Erinnerung an jenen Tag. Er sah noch älter und sehr verletzlich aus.
    Es gab nichts, womit Hester ihn hätte trösten können, und sie war klug genug, es nicht zu versuchen. Statt dessen sorgte sie verstärkt für sein leibliches Wohl, was sie die nächsten Stunden in Anspruch nahm. Sie wechselte die Bettwäsche, während er bis zum Kinn eingepackt zusammengekauert auf dem Ankleidestuhl saß. Dann schaffte sie einen großen Krug heißes Wasser herbei, goß es in eine Porzellanschüssel, half ihm beim Waschen und brachte ihm ein sauberes Nachthemd. Als er wieder im Bett lag, ging sie in die Küche, um eine leichte Mahlzeit für ihn zuzubereiten. Nachdem er gegessen hatte, war er endlich in der Lage zu schlafen, und das über drei Stunden lang.
    Nach dem Aufwachen war er beinahe wiederhergestellt und Hester derart dankbar, daß es ihr die Schamröte in die Wangen trieb. Schließlich zahlte Sir Basil für ihre Kunst, und dies war das erste Mal, daß sie sie so zur Anwendung gebracht hatte, wie er es sich vorstellte.
    Am kommenden Morgen fühlte Septimus sich soviel besser, daß sie nach einem kurzen Besuch an seinem Bett zu Beatrice gehen konnte, um sich den Nachmittag freigeben zu lassen. Sie versicherte, früh genug zurück zu sein, um Septimus für die Nacht zurechtzumachen und ihm etwas Leichtes zu verordnen, damit er ruhig schlafen konnte.
    Wenig später stapfte sie durch schneidenden, graupelschwangeren Wind über vereistes Kopfsteinpflaster zur Harley Street, wo sie eine Droschke anhielt und dem Kutscher auftrug, sie vor dem Kriegsministerium abzusetzen. Dort angekommen, stieg sie mit dem selbstsicheren Auftreten eines Menschen aus, der genau weiß, wo er hinwill, und dort mit größter Freude empfangen wird - was ganz und gar nicht der Fall war. Sie hatte die Absicht, soviel wie möglich über Captain Harry Haslett in Erfahrung zu bringen, ohne jedoch eine klare Vorstellung zu haben, was dabei herauskommen sollte. Er war das einzige Familienmitglied, über das sie bis gestern so gut wie nichts gehört hatte. Septimus' Bericht hatte ihn zum Leben erweckt und anschaulich gemacht, welche Wichtigkeit er für Octavia gehabt hatte. Hester verstand, weshalb sie zwei Jahre nach seinem Tod noch immer unter heftiger, unerträglicher Einsamkeit litt. Sie war fest entschlossen, sich über seine militärische Laufbahn zu informieren.
    Sie lief die Stufen zum Kriegsministerium hoch und sprach den jungen Soldaten an der Tür mit aller Höflichkeit und allem Charme an, den sie aufbringen konnte.
    »Guten Tag, Sir.« Sie neigte andeutungsweise den Kopf und schenkte ihm ein freundlich offenes Lächeln. »Ließe es sich einrichten, daß ich mit Major Geoffrey Tallis sprechen kann? Wenn Sie so freundlich wären, ihm meinen Namen zu nennen, wird er sich bestimmt an mich erinnern. Ich gehörte zu Miss Nightingales Helferinnen…«, sie schreckte nicht davor zurück, die magischen Worte zu benutzen. Hauptsache, es half, »… und erhielt die Gelegenheit, mich nach Major Tallis' Verwundung in Skutari um ihn zu kümmern. Es geht um den Tod der Witwe eines hohen Offiziers. Major Tallis befindet sich möglicherweise im Besitz wertvoller Informationen, die den Kummer ihrer Familie erheblich erleichtern könnten. Wären Sie wohl so nett, ihm mein Anliegen vorzutragen?«
    Anscheinend hatte sie genau die richtige Mischung aus Demut, Logik, weiblichem Charme und jener Autorität einer Krankenschwester erwischt, die bei den meisten wohlerzogenen Männern blinden Gehorsam nach sich zog.
    »Selbstverständlich werde ich ihm Ihre Botschaft übermitteln, Ma'am«,

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