Gefährliche Trauer
zu führen. Es klappte sozusagen von selbst, weil er sehr viel Mut und einen Sinn für Gerechtigkeit hatte, wie man ihn nur bewundern kann. Er besaß Humor und einen gewissen Hang zum Abenteuer, ohne auch nur im geringsten ein herausforderndes Benehmen an den Tag zu legen. Ich habe nicht einmal erlebt, daß er unnötig etwas riskiert hätte.« Er lächelte traurig. »Ich denke, er hing mehr am Leben als die meisten. Soviel ich weiß, hat er seine Frau sehr geliebt! Wenn er gekonnt hätte, hätte er bestimmt einen anderen Weg eingeschlagen. Aber nur beim Militär konnte er genug Geld verdienen, um seiner Frau das zu bieten, was er sich vorstellte, und mit seinem Schwiegervater, Sir Basil Moidore, zumindest halbwegs Frieden schließen zu können. Dieser ist übrigens für sein Offizierspatent aufgekommen meines Wissens als Hochzeitsgeschenk - und hat seine Laufbahn mit schärfstem Interesse überwacht. Was für eine Ironie des Schicksals!«
»Ironie?« warf Hester hastig ein.
Tallis legte das Gesicht in bekümmerte Falten und senkte instinktiv die Stimme, sprach aber jedes Wort klar und deutlich aus.
»Es war Sir Basil, der Hasletts Beförderung und damit die Überführung von seinem Regiment zu Lord Cardigans Light Brigade arrangiert hat, die, wie Sie ja wissen, bei Balaklawa den Angriff führte. Wenn er Oberleutnant geblieben wäre, würde er heute wahrscheinlich noch leben.«
»Wie ist es damals dazu gekommen?« Hester überfiel ein furchtbarer Verdacht, so grauenhaft, daß sie nicht wagte, ihm ins Gesicht zu sehen. »Wissen Sie zufällig, wen Sir Basil um diesen Gefallen gebeten hat? Der Seelenfriede sehr vieler Menschen hängt davon ab«, drängte sie mit allem Ernst, zu dem sie fähig war. »Vielleicht sogar die Wahrheit über Octavia Hasletts Tod, wie mir langsam scheint. Bitte, Major Tallis, erzählen Sie mir alles über Captain Hasletts Beförderung.«
Er zögerte nur für den Bruchteil einer Sekunde, dann gewannen das Gefühl, ihr etwas zu schulden, ihre gemeinsamen Erinnerungen und sein eigener Schmerz über Hasletts Tod die Oberhand.
»Sir Basil besitzt sehr viel Macht und Einfluß. Sie wissen sicher nicht, wieviel. Er ist wesentlich reicher, als er nach außen hin zeigt, obwohl das schon nicht wenig ist. Zudem erfreut er sich einer Menge Obligationen aus der Vergangenheit und verfügt, wie ich glaube, über beträchtliches Wissen.« Er überließ es ihr, seine letzten Worte zu interpretieren. »Es kostet ihn nicht die geringste Anstrengung, die Überführung eines Offiziers von einem Regiment zum anderen in die Wege zu leiten, um eine Beförderung durchzusetzen. Ein Brief reicht vollkommen, selbstverständlich verbunden mit der entsprechenden Summe für das neue Patent.«
»Aber woher weiß er, an wen er sich in dem neuen Regiment zu wenden hat?« fragte Hester, während der Verdacht immer konkretere Formen annahm.
»Oh - weil er sehr gut mit Lord Cardigan bekannt ist, der natürlich einen Überblick über sämtliche in Frage kommenden Führungsposten hat.«
»Genau wie über den typischen Charakter des Regiments.«
»Ohne Zweifel.« Tallis schien verwirrt.
»Auch über die voraussichtliche Aufstellung?«
»Lord Cardigan ja - zwangsläufig. Aber Sir Basil kaum…«
»Sie meinen, Sir Basil war nicht über den Verlauf des Feldzugs und die Persönlichkeit der Befehlshaber im Bilde?« Sie ließ zu, daß sich ein Großteil ihrer Skepsis in ihrem Gesichtsausdruck niederschlug, damit er auch wirklich verstand.
»Nun ja…« Er runzelte befremdet die Stirn. Auch ihm dämmerte allmählich ein häßlicher Gedanke, den er eilends beiseite schob. »Was den Schriftverkehr zwischen ihm und Lord Cardigan betrifft, bin ich selbstverständlich nicht informiert. Briefe zur Krim oder von dort nach hier brauchen ziemlich lang; selbst mit dem schnellsten Postschiff dauert es mindestens zwei Wochen, und in dieser Zeit kann viel passieren. Ganze Schlachten können gewonnen oder verloren werden, ganze Landstriche von einer Streitmacht zur anderen übergehen.«
»Regimenter wechseln aber nicht ihren typischen Charakter, Major«, versuchte Hester ihn auf den Boden der Realität zurückzuholen. »Ein guter Befehlshaber weiß, welches Regiment er nehmen würde, um eine Schlacht zu führen. Je aussichtsloser die Schlacht, desto gezielter würde er den richtigen Mann dafür aussuchen - einen Kommandanten mit Mut und Ausstrahlung, jemand, der sich der Loyalität seiner Truppe sicher sein kann. Außerdem würde er sich
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