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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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einen denkbar ungünstigen Zeitpunkt für ein Gespräch mit Monk ausgesucht; es wurde bereits dunkel, als er endlich nach Hause kam und sie in Mrs. Worleys kleinem Salon vorfand.
    »Hester! Was ist passiert? Sie sehen ja furchtbar aus.«
    »Vielen Dank«, erwiderte sie eisig, war jedoch zu sehr von ihren Neuigkeiten erfüllt, um sich länger als einen kurzen Moment zu ärgern. »Ich war gerade im Kriegsministerium - das heißt, heute nachmittag. Die Warterei auf Sie kam mir endlos vor.«
    »Im Kriegsministerium.« Monk, der in einer langsam größer werdenden Pfütze stand, legte Hut und Mantel ab; beides war tropfnaß. »Ihrem Gesicht nach zu urteilen, haben Sie etwas Interessantes herausgefunden!«
    Hester legte nur dann kleine Pausen ein, wenn es unumgänglich war, um Atem zu schöpfen, und erzählte ihm erst, was sie von Septimus erfahren hatte, dann alles, was in Major Tallis' Büro gesagt worden war.
    »Wenn Octavia am Nachmittag vor ihrem Tod tatsächlich im Kriegsministerium gewesen ist und dort das zu hören bekommen hat wie ich heute«, sagte sie nachdrücklich, »muß sie in dem Glauben in die Queen Anne Street zurückgekehrt sein, ihr Vater hätte absichtlich die Beförderung und damit verbundene Verlegung ihres Mannes von einem guten Durchschnittsregiment zu Lord Cardigans Light Brigade arrangiert, wo er die Ehre und die Pflicht haben würde, einen Angriff zu führen, bei dem mörderische Verluste zu erwarten waren.« Sie schreckte immer noch davor zurück, sich das Ungeheuerliche zu vergegenwärtigen, aber es bedrängte sie von allen Seiten. »Cardigans Ruf ist kein Geheimnis. Der Großteil der Männer würde bereits im ersten Ansturm umkommen, der Rest so schwer verwundet werden, daß die Lazarett-Chirurgen kaum noch eine Chance hätten, sie zu retten. Man würde sie übereinandergestapelt in offenen Lastkarren zum Militärkrankenhaus von Skutari schaffen, wo sie einer endlos langen Rekonvaleszenz entgegenzusehen hätten, während der mehr von ihnen an Gangränen, Typhus, Cholera und anderen Fieberkrankheiten sterben würden als an den Folgen einer Schwerstverletzung oder einer Kanonenkugel.«
    Monk sagte nichts.
    »Nachdem er einmal befördert war«, fuhr Hester fort, »standen seine Chancen auf Ruhm, den er sowieso nicht wollte, denkbar schlecht; die Chancen zu sterben, entweder sehr schnell oder auch qualvoll langsam, waren hingegen außerordentlich hoch. Kein Wunder, daß Octavia mit kreidebleichem Gesicht nach Hause kam und beim Dinner kein Wort herausbrachte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie den Tod ihres über alles geliebten Mannes für einen bösen Streich des Schicksals gehalten, dessentwegen sie ihr Dasein als Kriegswitwe in unentrinnbarer Abhängigkeit im Haus ihres Vaters fristen mußte.« Sie schauderte. »Wo sie auf einmal noch sicherer in der Falle saß als zu seinen Lebzeiten.«
    Monk nickte schweigend; er wollte sie nicht unterbrechen.
    »Und dann entdeckte sie plötzlich, daß es gar kein Schicksalsschlag war, der ihr alles genommen hat«, Hester beugte sich vor, »sondern Verrat. Ihr wurde schlagartig klar, Tag für Tag mit dem Verräter unter einem Dach eingesperrt zu sein, so lange, wie sie in ihre triste Zukunft blicken konnte. Was mag sie daraufhin getan haben? Ging sie ins Arbeitszimmer ihres Vaters, um nach Briefen zu suchen, die die furchtbare Wahrheit definitiv beweisen würden?« Sie brach ab.
    »Möglich«, sagte Monk langsam. »Basil kaufte Harry also ein Offizierspatent und brachte dann, nachdem dieser sich zu einem prächtigen Offizier entwickelt hatte, seinen Einfluß zur Geltung, um ihm eine noch bessere Position bei einem tapferen und verwegenen Regiment zu verschaffen. Wer hätte etwas anderes darin gesehen als ein verständliches Beispiel für Vetternwirtschaft?«
    »Niemand«, gab Hester bitter zurück. »Er hätte einfach den Unschuldigen gespielt. Woher konnte er wissen, daß ausgerechnet Harry Haslett den Angriff führen und darin umkommen würde?«
    »Ganz genau. So ist der Krieg nun mal. Dieses Risiko nimmt man in Kauf, wenn man einen Soldaten heiratet. Er hätte vermutlich gesagt, es täte ihm schrecklich leid für sie, aber es wäre doch sehr undankbar, ihm die Schuld an dem Ganzen zu geben. Wahrscheinlich hätte sie beim Dinner wieder zu tief ins Glas geschaut, was ihr in letzter Zeit ja häufiger passiert wäre.
    Ich kann mir Basils mißbilligenden Gesichtsausdruck bei diesen Worten lebhaft vorstellen.«
    »Nein, das hätte keinen Sinn gehabt«,

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