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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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versicherte er und stellte sich etwas gerader hin.
    »Welchen Namen darf ich ihm nennen?«
    »Hester Latterly. Ich bedaure, ihn so überraschend aufsuchen zu müssen, aber ich betreue zur Zeit einen Gentleman, der sich aus dem aktiven Dienst zurückgezogen hat, und möchte ihn aufgrund seiner schlechten Verfassung ungern mehr als ein paar Stunden allein lassen.« Das war eine ziemlich gedehnte Version der Wahrheit, doch keine direkte Lüge.
    »Natürlich.« Seine Achtung wuchs. Er schrieb »Hester Latterly« auf ein Blatt Papier, fügte eine Anmerkung über ihre Beschäftigung sowie die Dringlichkeit ihres Anliegens hinzu, rief einen Offiziersburschen herbei und schickte ihn mit der Botschaft zu Major Tallis.
    Hester wäre zufrieden damit gewesen, schweigend zu warten, doch ihrem Gegenüber schien der Sinn nach einem Gespräch zu stehen. Sie beantwortete seine Fragen nach den Schlachten, die sie miterlebt hatte, und stellte nach kurzer Zeit fest, daß sie beide in Inkermann gewesen waren. Sie schwelgten in Erinnerungen, als der Bursche mit der Meldung zurückkehrte, Major Tallis könnte Miss Latterly in zehn Minuten empfangen. Würde es ihr etwas ausmachen, solange in seinem Büro zu warten?
    Hester verneinte etwas hastiger als geplant, was der würdevollen Aura, mit der sie sich zu umgeben versucht hatte, abträglich war, aber sie vergaß nicht, dem Tür Steher herzlich für die zuvorkommende Behandlung zu danken. Dann marschierte sie kerzengerade hinter dem Burschen in die Eingangshalle, die breite Treppe hinauf und endlose Korridore entlang bis zu einem Warteraum mit mehreren Stühlen. Dort ließ er sie allein.
    Es dauerte erheblich länger als zehn Minuten, bevor sich die Tür zu Major Tallis' Allerheiligstem auftat. Heraus kam ein adretter Oberleutnant, der an ihr vorbeirauschte, als ob sie unsichtbar wäre, dann endlich bat man sie herein.
    Geoffrey Tallis war ein gutaussehender Mann Ende Dreißig. Nach einer schweren Kriegsverletzung als Offizier bei der Kavallerie, die ihm ein dauerhaftes Hinken eingetragen hatte, war er auf einen Verwaltungsposten versetzt worden. Ohne Hesters Fürsorge hätte er das Bein wahrscheinlich ganz verloren und sich jede weitere Karriere für immer aus dem Kopf schlagen können. Folglich leuchtete sein Gesicht freudig auf, als er sie erblickte, dann streckte er ihr spontan zur Begrüßung eine Hand entgegen.
    Hester reichte ihm ihre Rechte, die er energisch packte.
    »Meine liebe Miss Latterly, was für eine unbeschreibliche Freude, Sie wiederzusehen, und das unter soviel angenehmeren Umständen! Ich hoffe, es geht Ihnen gut und Sie kommen voran?«
    Diesmal war Hester ziemlich ehrlich, nicht weil sie etwas Bestimmtes damit bezweckte, sondern weil die Worte aus ihr heraussprudelten, ehe sie zum Nachdenken kam.
    »Es geht mir ausgezeichnet, danke, obwohl ich nur mäßig vorankomme. Meine Eltern sind beide gestorben, und ich muß mich allein durchschlagen, aber ich bin dazu durchaus in der Lage, also kann ich mich glücklich schätzen. Ich muß allerdings gestehen, daß es mir nicht leichtfällt, mich wieder an England zu gewöhnen und an den Frieden, in dem die Leute sich mit vollkommen anderen Dingen beschäftigen.« Sie ließ offen, was genau sie damit meinte: die Salongepflogenheiten, die steifen Röcke, die Überbetonung von gesellschaftlichem Rang und vornehmen Manieren. Sein Gesichtsausdruck verriet, daß er ihr all das von den Augen ablesen konnte und selbst hinlänglich Erfahrungen gesammelt hatte.
    »Ein wahres Wort.« Seufzend ließ er ihre Hand los. »Nehmen Sie doch bitte Platz, und dann sagen Sie mir, was ich für Sie tun kann.«
    Hester wollte seine Zeit nicht unnötig verschwenden, außerdem waren sämtliche wichtigen Vorbemerkungen bereits gewechselt.
    »Was wissen Sie über Captain Harry Haslett? Er ist bei Balaklawa gefallen, vielleicht erinnern Sie sich. Ich frage, weil seine Witwe vor kurzem auf tragische Weise ums Leben gekommen ist und ich mit ihrer Mutter bekannt bin. Genaugenommen habe ich sie während der schlimmsten Trauerphase betreut und pflege jetzt ihren Onkel, einen Offizier im Ruhestand.« Falls er sie Genaueres über Septimus fragen sollte, würde sie behaupten, die näheren Umstände seines »Inden-Ruhestand-Tretens« nicht zu kennen.
    In Major Tallis' Miene zogen augenblicklich dunkle Wolken auf.
    »Ein ausgezeichneter Offizier, dazu einer der nettesten Menschen, der mir je über den Weg gelaufen ist. Er hat es hervorragend verstanden, seine Männer

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