Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
gehen.
    Nachdem sie ihr das Dinner hinaufgebracht hatte, bat Hester, sich frühzeitig zurückziehen zu dürfen, weil sie noch einige Briefe zu schreiben hätte.
    Sie schlief unruhig, daher war es kein großes Problem, kurz nach zwei aufzustehen und mit einer Kerze in der Hand nach unten zu schleichen. Die Gaslampen anzuzünden traute sie sich nicht. In Sir Basils Arbeitszimmer hielt sie die Kerze dicht über dem Boden, um den rotblau gemusterten Orientteppich nach Unregelmäßigkeiten abzusuchen, bei denen es sich um Blutflecken handeln könnte.
    Nach zehn Minuten, die ihr wie eine Ewigkeit vorkamen, vernahm sie plötzlich das Schlagen der Standuhr in der Halle, woraufhin sie beinah die Kerze hätte fallen lassen. Zum Glück landeten jedoch nur einige Tropfen Wachs auf dem Teppich, die sie sofort mit den Fingernägeln abkratzte.
    Und da fiel ihr eine Unregelmäßigkeit auf; es war eine unschöne Asymmetrie im Muster, die an keiner anderen Stelle auftauchte. Bei näherer Betrachtung sah sie, wie groß der Fleck war, inzwischen fast ausgewaschen, doch immer noch gut erkennbar. Er befand sich hinter dem breiten Eichenschreibtisch, genau dort, wo man stehen würde, um eins der kleinen Schubfächer herauszuziehen, von denen drei mit Schlössern versehen waren.
    Hester stand langsam auf. Ihr Blick wanderte zur zweiten Schublade von oben, deren Schlüsselloch von leichten Kerben umgeben war, als ob sich jemand mit einem groben Gegenstand daran zu schaffen gemacht hätte. Offensichtlich hatte ausgiebiges Polieren die Spuren nicht verwischen können.
    Hester sah keine Möglichkeit, das Schloß zu öffnen. Sie besaß weder einbrecherisches Talent noch das erforderliche Werkzeug; außerdem wollte sie auf keinen Fall die Person aufscheuchen, die eine weitere Beschädigung zweifellos am ehesten bemerken würde. Sie konnte sich gut vorstellen, was Octavia gefunden hatte: einen, vielleicht auch mehrere Briefe von Lord Cardigan oder sogar dem Colonel von Harry Hasletts Regiment, die alles bestätigten, was sie im Kriegsministerium erfahren hatte.
    Hester stand reglos da. Sie starrte auf die fein säuberlich angeordneten Schreibtischutensilien: ein Schälchen mit Sand zum Tintelöschen; dunkelrote, spitz zulaufende Stifte Siegellack; ein verzierter Ständer aus Sardonyx und rotem Jaspis für Tinte und Feder; ein langer, wunderschöner Brieföffner, eine Miniaturausgabe von König Artus' legendärem Schwert Excalibur, das in einem magischen Stein steckte. Es war mindestens zwanzig Zentimeter lang und hatte ein mit kostbaren Schnitzereien versehenes Heft. Der Stein, der zugleich als Ständer diente, war ein gelber Achat. Es war der größte, den sie je gesehen hatte. Sie stand genau dort, wo Octavia gestanden haben mußte, elend und einsam, mit dem bitteren Gefühl, endgültig geschlagen zu sein. Auch sie mußte die schönen Dinge fassungslos angestarrt haben.
    Hester steckte langsam eine Hand nach dem Brieföffner aus.
    Sie, an Octavias Stelle, wäre nicht in die Küche gegangen, um Mrs. Bodens Tranchiermesser zu holen: sie hätte dieses wundervolle Ding benutzt. Sie zog es vorsichtig heraus, spürte, wie schwer es war, wie spitz. Unzählige Sekunden strichen in der Totenstille des Hauses dahin, Hunderte von Schneeflocken schwebten hinter den vorhanglosen Fenstern sanft auf den Boden, ehe sie den schwachen dunklen Ring am Übergang zwischen Schneide und Heft entdeckte. Sie hielt ihn dicht vor die Kerzenflamme. Er war braun, nicht dunkelgrau wie beschlagenes Silber oder eingefressener Schmutz - braun und häßlich wie getrocknetes Blut.
    Kein Wunder, daß Mrs. Boden ihr Messer nicht früher vermißt hatte. Wahrscheinlich hatte es die ganze vorherige Zeit nicht gefehlt; sie hatte sich lediglich durch das verwirren lassen, was sie für die Fakten hielt.
    Es hatte sich aber Blut an dem Messer befunden, das hinter Percivals Kommodenschublade versteckt gewesen war. Wessen Blut dann - falls Octavia sich das Leben mit diesem schlanken Brieföffner genommen hatte?
    Kein menschliches Blut. Es war ein Küchenmesser, und in einer Küche gab es hin und wieder eimerweise Blut. Ein Ferkel, ein Fisch, ein Huhn, irgend etwas, das ausgenommen werden mußte. Wer konnte ein Blut vom andern unterscheiden?
    Und wenn Octavias Blut nicht an diesem Messer klebte, war es dann ihres an dem Neglige?
    In dem Moment wurde Hester von einer so heftigen Erinnerung überfallen, als hätte man ihr einen Kübel eiskaltes Wasser über den Kopf geschüttet. Hatte Beatrice

Weitere Kostenlose Bücher