Gefährliche Trauer
wachsam interessierten Blick und konzentrierte sich wieder auf Basil.
»Ja, Papa?«
»Hat Tavie dir gegenüber verlauten lassen, daß sie in jüngster Zeit eine schockierende oder bedrückende Entdeckung gemacht hat? Besonders an dem Tag vor ihrem Tod?«
Araminta setzte sich und dachte eine Zeitlang sorgfältig nach, ohne einen von ihnen anzuschauen. »Nein«, sagte sie schließlich.
Ihr unerschrockener Blick glitt zu Monk. »Nichts Spezielles jedenfalls. Aber ich habe gespürt, daß am Nachmittag etwas passiert sein mußte, das ihr schwer auf dem Herzen lag. Was, weiß ich leider nicht. Glauben Sie, sie wurde deshalb ermordet?«
Monk betrachtete sie mit größerem Interesse, als er für jeden anderen aufbrachte, dem er in diesem Haus bislang begegnet war. Obwohl sie vollkommen gefaßt war, ging eine Intensität von ihr aus, der man sich kaum entziehen konnte. Ihre dünnen Hände lagen ineinander verkrampft auf ihrem Schoß, aber ihr Blick war unverwandt und verriet hohe Intelligenz.
»Möglicherweise, Mrs. Kellard«, gab er zurück. »Sollte Ihnen aber ein anderes Motiv bekannt sein, weshalb jemand Angst vor ihr gehabt oder ihr Böses gewünscht haben könnte, lassen Sie es mich bitte wissen. Wir können momentan nur Schlußfolgerungen ziehen. Abgesehen von der Tatsache, daß niemand eingebrochen ist, besitzen wir keinerlei Fakten.«
»Woraus Sie folgern, daß es jemand war, der sich bereits hier aufhielt«, sagte sie kaum hörbar. »Jemand, der in diesem Haus wohnt.«
»Wie es scheint, kommen wir daran nicht vorbei, ja.«
»Sieht ganz so aus.«
»Was für eine Frau war Ihre Schwester, Mrs. Kellard? War sie aufgeschlossen? Interessierte sie sich für die Probleme ihrer Mitmenschen? War sie eine gute Beobachterin? Besaß sie viel Menschenkenntnis?«
Araminta lächelte. Eigentlich war es eher eine eigentümliche Verrenkung ihrer unteren Gesichtshälfte.
»Nicht mehr als die meisten Frauen, Mr. Monk. Im Grunde genommen eher weniger. Wenn sie etwas entdeckt haben sollte, dann durch Zufall, nicht weil sie danach auf der Suche gewesen ist. Sie fragen mich, was für eine Frau sie war. Nun, die Sorte, die in Ereignisse hineinstolpert, die sich ohne Rücksicht auf die Konsequenzen von ihren Gefühlen leiten läßt. Sie gehörte zu denen, die geradewegs ins Unglück hineinrennen, ohne es vorauszusehen oder nachher zu begreifen, wie das eigentlich passieren konnte.«
Monk warf einen raschen Blick in Basils Richtung. Außer der absoluten Konzentration, mit der er Araminta fixierte, war seiner Miene nicht die geringste Gefühlsregung zu entnehmen. Keine Trauer, keine Verwunderung.
Monk wandte sich zu Cyprian um. In dessen Gesicht spiegelte sich deutlich der Schmerz, den die Erinnerung in ihm wachrief, das bittere Gefühl eines schweren Verlusts. Er wußte um all die Worte, die plötzlich gesagt werden konnten - zu spät -, die ganze Zuneigung, die nie ausgedrückt worden war.
»Danke, Mrs. Kellard«, sagte Monk langsam. »Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie es mir mitteilen würden, falls Ihnen noch mehr einfällt. Wie haben Sie den Montag verbracht?«
»Vormittags war ich zu Hause. Am Nachmittag machte ich einige Besuche, und das Dinner nahm ich dann wieder hier, mit der Familie, ein. Im Lauf des Abends kam ich mehrmals mit Octavia ins Gespräch, aber mir ist nichts davon besonders in Erinnerung geblieben. Es kam mir damals alles recht banal vor.«
»Vielen Dank, Ma'am, das wäre erst einmal alles.«
Sie stand auf, neigte kaum merklich den Kopf und marschierte schnurstracks hinaus.
»Möchten Sie Mr. Kellard auch sprechen?« erkundigte sich Basil mit gewölbten Brauen. Seine ganze Haltung hatte plötzlich etwas leicht Verächtliches.
Die bloße Tatsache, daß er gefragt hatte, ließ Monk zustimmen.
»Gern, sofern es Ihnen recht ist.«
Obgleich Basils Gesicht hart wurde, erhob er keinerlei Einwände. Er läutete nach Phillips und beauftragte ihn, Myles Kellard zu holen.
»Myles hätte Octavia sich niemals anvertraut«, ließ Cyprian sich unvermittelt vernehmen.
»Warum nicht?« fragte Monk prompt.
Angesichts der groben Taktlosigkeit einer solch unverblümten Frage glitt ein unwilliger Ausdruck über Basils Gesicht. »Weil sich die beiden nichts auseinander gemacht haben«, erwiderte er hastig an Cyprians Stelle. »Was natürlich nicht heißt, daß sie unhöflich zueinander gewesen wären.« Seine dunklen Augen sahen Monk forschend an, ob der auch begriffen hatte, daß Leute von Stand sich nicht wie
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