Gefährliche Trauer
ohne sich die Mühe einleitender Worte zu machen oder seinen Sohn anzusehen. Anscheinend interessierte ihn weder wie Cyprian auf die Neuigkeit reagierte, noch hielt er es für nötig, Monks Mutmaßungen wiederzugeben. »Die einzige Erklärung scheint darin zu bestehen, daß es jemand war, der hier wohnt. Da die Familie hierfür offensichtlich nicht in Frage kommt, muß es sich um einen der Bediensteten handeln. Inspektor Monk möchte mit jedem von uns sprechen, um zu hören, was uns aufgefallen ist - wenn überhaupt.«
Cyprian starrte erst seinen Vater, dann Monk an, als wäre er ein Ungeheuer aus einer anderen Welt.
»Das ist leider nicht zu vermeiden, Sir«, sprach Monk die Entschuldigung aus, von der Sir Basil Abstand genommen hatte.
»Ich bin mir bewußt, wie unangenehm das für Sie sein muß, aber ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir erzählen könnten, wie Sie den Montag verbracht haben. Vielleicht fällt Ihnen auch etwas ein, das Mrs. Haslett zu Ihnen gesagt hat, vor allem, wenn es Sorgen ihrerseits oder ein von ihr entdecktes Geheimnis betraf, das für einen Dritten gefährlich sein könnte.«
Cyprian legte die Stirn in Falten, während das Staunen auf seinem Gesicht allmählich nachdenklicher Konzentration Platz machte.
»Sie glauben, Octavia wurde umgebracht, weil sie etwas über jemand in Erfahrung gebracht hat?« Er zuckte mit den Achseln.
»Aber was? Was könnte einer unserer Dienstboten getan haben, das…« Er verstummte. Seinem Blick nach zu urteilen, hatte er sich die Frage selbst beantwortet und beschlossen, das Ergebnis für sich zu behalten. »Nein, zu mir hat Tavie nichts gesagt, aber ich war auch fast den ganzen Tag unterwegs. Am Vormittag habe ich ein paar Briefe geschrieben und bin dann gegen elf zum Lunch in meinen Klub am Piccadilly aufgebrochen. Den Nachmittag habe ich mit Lord Ainslie verbracht; wir sprachen fast ausschließlich über Vieh. Er hat einen ziemlich großen Bestand, und ich spiele mit dem Gedanken, ihm ein paar Tiere für unser Gut in Hertfortshire abzukaufen.«
Monk hatte den flüchtigen Eindruck, daß Cyprian log, nicht was das Treffen anging, sondern bezüglich des Themas.
»Verfluchter Owenianer!« brauste Basil auf. »Würde uns am liebsten zusammenpferchen wie die Tiere auf dem Bauernhof!«
»Absolut nicht!« widersprach Cyprian. »Seine Ideen sind…«
»Zum Dinner warst du wieder hier«, fiel Basil ihm ins Wort, ehe er sein Gegenargument vorbringen konnte. »Hast du Octavia da auch nicht gesehen?«
»Nur bei Tisch«, sagte Cyprian eine Spur schärfer. »Und wenn du dich recht erinnerst, hat sie nicht viel gesprochen. Weder mit mir noch mit sonst wem.«
Basil wandte sich vom Kamin ab und fixierte Monk. »Meine Tochter war gesundheitlich nicht in bester Verfassung. Ich glaube, sie fühlte sich auch an jenem Abend nicht besonders wohl. Jedenfalls war sie extrem, still und schien irgendwelchen Kummer zu haben.« Er schob die Hände in die Taschen zurück.
»Damals nahm ich an, sie hätte wieder Kopfschmerzen, aber wenn ich heute zurückdenke, kann ihr ebenso ein schmutziges Geheimnis zu schaffen gemacht haben - wenn sie sich der damit verbundenen Gefahr wohl auch nicht bewußt war.«
»Ich wünschte, sie hätte sich jemandem anvertraut!« platzte Cyprian in einem plötzlichen Anfall von Mitleid heraus. Er brauchte nicht hinzuzufügen, welcher Kummer ihm dadurch erspart geblieben wäre. Sein Schmerz und das Gefühl, versagt zu haben, waren ihm deutlich anzusehen.
Ehe Moidore der Ältere zu einer Erwiderung ansetzen konnte, ertönte an der Tür ein Klopfen.
»Herein!« Er hob ruckartig den Kopf, verärgert über die ungebetene Störung.
Monk fragte sich einen Moment lang, wer die Frau sein mochte, doch als er den Stimmungswandel auf Cyprians Gesicht bemerkte, fiel ihm wieder ein, daß er ihr bereits bei seinem ersten Besuch im Salon begegnet war: Es handelte sich um Romola Moidore. Diesmal wirkte sie weniger erschrocken; ihre Haut hatte einen rosigen Schimmer, ihr Teint war makellos. Sie hatte regelmäßige Züge, große, strahlende Augen und dichtes Haar. Das einzige, was den Gesamteindruck einer echten Schönheit trübte, war ein schmollender Zug um den Mund, der darauf schließen ließ, daß auf ihre gute Laune nicht unbedingt Verlaß war. Sie warf Monk einen verdutzten Blick zu. Offensichtlich erinnerte sie sich nicht an ihn.
»Inspektor Monk«, half Cyprian ihr auf die Sprünge. Als sich ihre Miene daraufhin immer noch nicht erhellte, fügte er
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