Gefährliche Trauer
Sandeman hatte ausgesprochen große Ähnlichkeit mit Basil Moidore: die gleichen dunklen Augen, dieselbe kurze, gerade Nase und einen ähnlich beweglichen, breiten Mund; nur der Kopf war schmaler, und die Falten schienen wie ausgebügelt. In jungen Jahren mußte sie einen exotischen Reiz besessen haben, der echter Schönheit sehr nahe kam. Heute wirkte sie lediglich außergewöhnlich. Monk mußte sich nicht erst nach der Art der Verwandtschaft erkundigen, sie war offensichtlich. Fenella war ungefähr im gleichen Alter wie Basil, ging eher auf die Fünfzig denn auf die Vierzig zu, kämpfte jedoch mit jedem erdenklichen Kunstgriff gegen die Zeit an. Obwohl Monk sich nicht gut genug mit Frauen auskannte, um die vielfältigen Kniffe zu kennen, wußte er doch, daß es welche gab. Falls er jemals besser darüber im Bilde gewesen sein sollte, hatte er es vergessen. Eins sah er jedenfalls klar: Fenellas Gesicht wirkte ausgesprochen maskenhaft; ihr Teint hatte einen unnatürlichen Farbton, die Brauen waren viel zu scharf umrissen, das Haar war spröde und zu dunkel.
Sie musterte Monk mit allergrößtem Interesse und ignorierte Basils Aufforderung, sich zu setzen.
»Wie reizend, Sie kennenzulernen«, hauchte sie mit verführerisch heiserer Stimme, die eine Spur wackelig klang.
»Er ist Polizist, Fenella, keine neue gesellschaftliche Errungenschaft«, versetzte Basil. »Er untersucht die Umstände von Octavias Tod. Wie es aussieht, wurde sie von jemandem getötet, der in diesem Haus wohnt, vermutlich von einem der Dienstboten.«
»Von einem der Dienstboten?« Fenellas schwarz nachgemalte Brauen wölbten sich verblüfft. »Nein, wie abscheulich!« Sie schien nicht im mindesten schockiert. Wäre es nicht absurd gewesen, hätte Monk fast gedacht, diese Tatsache würde sie regelrecht beflügeln.
Was auch Basil nicht entging.
»Benimm dich, Fenella!« sagte er scharf. »Wir haben dich kommen lassen, weil es so aussieht, als ob Octavia ein Geheimnis entdeckt hätte, wenn auch durch Zufall, und deshalb sterben mußte. Inspektor Monk wüßte gern, ob sie dir vielleicht etwas in der Richtung anvertraut hat. Hat sie?«
»Du meine Güte!« Ihr Blick ruhte unverwandt auf Monk. Wäre es, was die Diskrepanz ihrer gesellschaftlichen Stellung und den mindestens zwanzig Jahre betragenden Altersunterschied zwischen ihnen anbelangte, nicht vollkommen verrückt gewesen, hätte Monk gedacht, sie würde mit ihm flirten. »Darüber muß ich erst mal nachdenken, aber ich kann mich bestimmt nicht an alles erinnern, was sie mir in den letzten Tagen ihres Leben erzählt hat das arme Ding. Ihr Leben war so unglaublich tragisch. Erst den Ehemann so kurz nach der Heirat an den Krieg verlieren zu müssen, und dann noch wegen eines jämmerlichen Geheimnisses umgebracht zu werden!« Sie erschauerte und zog fröstelnd die Schultern hoch. »Was das bloß sein könnte?« Ihre Augen weiteten sich theatralisch. »Ein uneheliches Kind vielleicht, was meinen Sie? Nein - oder doch!? Eine Magd kostet so was die Stellung aber kann es wirklich eine Frau gewesen sein? Sicher nicht, oder?« Sie kam Monk einen Schritt näher. »Egal, von unseren Dienstboten hat sowieso niemand ein Kind, das würden wir wissen.« Tief in ihrer Kehle löste sich ein eigenartiger Laut, der entfernt an ein Kichern erinnerte. »So etwas kann man nur schlecht verbergen, nicht wahr? Ein Verbrechen aus Leidenschaft - ja, das muß es sein! Irgend jemand hatte eine verhängnisvolle Affäre, von der niemand wußte, Tavie ist zufällig darübergestolpert - und dann haben sie sie umgebracht, die Ärmste. Wie können wir Ihnen helfen, Inspektor?«
»Seien Sie bitte vorsichtig, Mrs. Sandeman«, erwiderte Monk mit grimmiger Miene. Er war sich nicht ganz im klaren, wie ernst er sie nehmen sollte, aber irgend etwas veranlaßte ihn, sie zu warnen, damit sie sich nicht selbst in Schwierigkeiten brachte. »Womöglich kommen Sie dem Geheimnis auf die Spur oder geben der betroffenen Person allen Grund, das zu befürchten. Es wäre klüger, Sie hielten sich unauffällig im Hintergrund.«
Sie wich einen Schritt zurück, schnappte nach Luft und riß die Augen noch weiter auf. In dem Moment fragte er sich zum erstenmal - trotz der frühen Stunde -, ob sie völlig nüchtern war.
Basil mußte ähnliche Befürchtungen hegen. Er streckte pro forma eine Hand aus und geleitete sie zur Tür.
»Denk darüber nach, Fenella. Wenn dir etwas einfällt, sag es mir, ich werde es an Mr. Monk weitergeben. Und jetzt geh
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